Klaus Grawe gestorben

Klaus Grawe, der Neuerer der Psychotherapie ist gestorben. Am Morgen des Sonntags, 10. Juli 2005, brach Klaus Grawe zusammen und verstarb kurz darauf im Alter von 62 Jahren. Sein Tod kam völlig überraschend. Ein lebensfroher, freundlicher und kreativer Kollege lebt nicht mehr. Er hinterlässt seine Frau Mariann und fünf Kinder. Klaus Grawe war für uns Psychotherapeuten bei der Entwicklung und Professionalisierung unseres Faches sehr wichtig. 1943 geboren, studierte er Psychologie in Hamburg und Freiburg im Breisgau. Danach war er 10 Jahre Klinischer Psychologe an der Psychiatrischen Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf. Hier beschäftigte er sich zunächst mit der Evaluation stationärer Psychotherapie, vor allem der Gruppentherapie. In dieser Zeit begann die langjährige, sehr fruchtbare Zusammenarbeit mit Adolf-Ernst Meyer. Gemeinsam publizierten sie den ersten kontrollierten Vergleich von dynamischer Psychotherapie und Gesprächstherapie – der von letztgenannter „gewonnen“ wurde. Ihr Meisterwerk legten Sie 1992 mit dem „Forschungsgutachten zu Fragen eines Psychotherapeutengesetztes“ vor. Als damaliger Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirates erlebte ich Grawes außerordentlich geglückte Verbindung von unbestechlicher wissenschaftlicher Akribie, profundem Überblick und visionärem Enthusiasmus. In einer wohl nie mehr erreichbaren, geradezu titanischen Metaanalyse fasste Grawe alle zu der Zeit verfügbaren empirischen Befunde zur Wirkung der Psychotherapie zusammen und verglich die verschiedenen Verfahren. Danach war das Gesetz - dem unsere psychologischen Psychotherapeuten ihre Anerkennung als Heilberuf verdanken – nicht mehr zu stoppen. Die „Psychotherapie im Wandel – von der Konfession zur Profession“ wurde 1994 der erste unerreichte Bestseller der Psychotherapieforschung. Grawe war 1989 schon auf den Lehrstuhl für Klinische Psychologie an der Universität Bern gewechselt. Dort konnte er seine Vision einer wissenschaftlich begründeten psychotherapeutischen Praxis und Lehre in die Tat umsetzen. Der vielfach gesicherte empirische Befund, dass die Gemeinsamkeiten gegenüber den postulierten Unterschieden der verschiedenen Psychotherapieschulen bei Weitem überwiegen, führte ihn zur Formulierung einer allgemeinen „Psychologischen Therapie“, seinem zweiten 1998 erschienenen Hauptwerk. Spätestens hier schieden sich die Geister. Hatten vielen Schulvertretern bereits die von Grawe vorgelegten, nicht immer vorteil¬haften empirischen Befunde missfallen und beäugten manche seine wachsende Meinungsführerschaft mit Skepsis, so ging es nun an die Substanz eines auf der Existenz abgegrenzter Psychotherapieschulen beruhenden Systems. Die bisherige Sonderstellung der Psychoanalyse und der Verhaltenstherapie schienen gefährdet. Dies war ja einer der größten „Schönheitsfehler“ des o.g. Gesetzes, dass nicht nur alle anderen Berufsgruppen außer Ärzten und Psychologen ausgeschlossen wurden, sondern dass auch allen anderen Psychotherapierichtungen – vor allem der Gesprächstherapie und der Systemischen Therapie – als nicht hinreichend wissenschaftlich begründet die Anerkennung versagt blieb. Die Allgemeine Psychotherapie ist eine wertvolle Quelle klinischer Kompetenz, aber keine Lösung für das skizzierte berufspolitische Problem. Vielleicht war Grawe, angeregt durch seine internationalen Kontakte unserer deutschen Zeit zu weit voraus. Nimmermüde hatte er sich schon seit längerem der dritten – nach der Empirie und der Allgemeinen Psychotherapie – Hauptentwicklung heutiger Psychotherapie zugewandt: den neurobiologischen Korrelaten psychischer Entwicklungen. Das Ergebnis dieser Arbeit erschien im vergangenen Jahr in seinem dritten Werk der „Neuropsychotherapie“. Dies blieb Klaus Grawes letztes Buch. Wir bedanken uns bei einem schöpferischen Menschen, der für die Entwicklung unseres Feldes Großes geleistet hat. Wir sind in Gedanken bei seinen Kindern und bei seiner Frau, die als langjährige Vorsitzende der Schweizerischen Systemischen Gesellschaft auch eine besonders nahe Kollegin ist. Freiburg, 26.07.2005- Michael Wirsching