Achtsamkeit und Spiritualität

Die Fachbeiträge im Heft:

Schmidt, Stefan: Eine systemische Perspektive auf die Praxis der Achtsamkeit

abstract: In dieser Arbeit wird gezeigt, dass die zunehmend populärer werdende Praxis der Achtsamkeit und die systemische Herangehensweise viele fruchtbare Gemeinsamkeiten aufweisen und dass die Betrachtung dieser Schnittmenge wiederum zu inspirierenden Impulsen für den jeweiligen Bereich führen kann. Achtsamkeit beschreibt eine von Gegenwartsorientierung und Akzeptanz geprägt Grundhaltung gegenüber dem eigenen Erleben, die mit einem starken Erfahrungsbezug gekoppelt ist. Diese durch Üben erlernbare Haltung erweist sich als eine ideale Ausgangsbasis für systemisches Arbeiten, sowohl was den Kontakt und Bezug zu den Klient/innen betrifft als auch hinsichtlich der Reflexion aufkommender eigener Gefühle und Gedanken während des Prozesses. Es zeigt sich, dass die in der Achtsamkeit praktizierte Beobachtung der eigenen Geistestätigkeit als eine auf das eigene Bewusstsein angewandte Kybernetik zweiter Ordnung konzeptioniert werden kann. Daraus folgt eine Sichtweise, dass es sich bei Gedanken und Gefühlen um primär autonome, sich selbstregulierende Funktionen handelt. Diese Perspektive erweist sich im Umgang schwierigen Emotionen und unerwünschten Gedanken als sehr hilfreich. Auf einer tieferen Ebene kann dargelegt werden, dass konstruktivistische Erkenntnistheorie und die buddhistische Weltsicht, aus der das Achtsamkeitskonzept stammt, überraschende Strukturähnlichkeiten aufweisen. Bei beiden handelt es sich um Prozessphilosophien, die eine objekthafte metaphysische Realität ablehnen und ihr Augenmerk auf die Selbstreferenzialität von Erkenntnisprozessen richten.

Zum Artikel von Stefan Schmidt im DGSF-Wissensportal

Vogd, Werner: Wozu achtsam sein und worauf die Achtsamkeit lenken? Welten ohne Grund bauen und darin heimisch werden!

abstract: Der Beitrag fragt nach den Spezifika der buddhistischen Achtsamkeitspraxis. Der Weg hierzu ist ein ebenso vorsichtiger wie reflektierter Dialog zwischen den einschlägigen buddhistischen Lehren, dem neurobiologischen Konstruktivismus und der allgemeinen Theorie der Sinnsysteme. Dadurch erschließt sich die Bedeutung der buddhistischen Daseinsmerkmale »Veränderlichkeit«, »Leidhaftigkeit« und »Ichlosigkeit« aus einer fruchtbaren und zeitgemäßen Perspektive. Es wird verständlich, warum buddhistische Achtsamkeitspraxis darauf angelegt ist, Krisen des Selbst zu evozieren. Denn auf diese Weise gelingt es, Menschen darauf vorzubereiten, sich in »Welten ohne Grund« heimisch zu fühlen.

Emlein, Günther: »Gleichsam viral: Wenn Sinnzumutungen in den Leib eindringen …« Kommentar zu Werner Vogd: Wozu achtsam sein und worauf die Achtsamkeit lenken? In: Kontext 47 (4): 365-369.

Vogd, Werner: Genau: Heilung von den Sinnzumutungen, die mit dem Ich verwechselt werden. Replik auf Günther Emleins Kommentar. In: Kontext 47 (4): 370-376.

Baatz, Ursula: Systemische Arbeit und Spiritualität. Eine Erkundung

abstract: In den vergangenen Jahrzehnten geht »Kirchenreligiosität« zurück und »alternative Spiritualitäten« nehmen zu. Daten zeigen, dass sich viele »eher spirituell als religiös« verstehen. Religionszugehörigkeit ist kein Schicksal mehr, sondern Gegenstand persönlicher Wahl. Der Beitrag gibt einen Überblick über Geschichte und gegenwärtiges Verständnis von Spiritualität. Der Begriff »Spiritualität« kommt aus der christlichen Tradition, doch gibt es keine Standard-Definition. In soziokultureller Hinsicht ist Spiritualität ein boomender Dienstleistungssektor von Kindererziehung über Ernährung bis Medizin, in dem persönliche Erfahrung mit allen Sinnen gesucht wird. Populäre Praktiken religiöser Weg-Kulturen haben meist ihre Wurzeln in asiatischen religiösen Traditionen, ihre Form ist aber das Ergebnis von Modernisierungsprozessen. Spiritualität gilt auch als menschliche Grundmöglichkeit der Sinnfindung für die eigene Existenz. Die »spirituellen Wanderer« suchen nach persönlichem Heil- und Ganzwerden und beziehen dafür spirituelle Praktiken und Kontexte genauso in Betracht wie psychotherapeutische Begleitung und Unterstützung. Systemische Zugänge können für spirituelle Suchende unterstützend und klärend sein, auch bieten spirituelle Prozesse und Kontexte neue Ressourcen, ein gewisses Maß an interkultureller Kompetenz vorausgesetzt.

Stephan, Liane & Chris Tamdjidi: Achtsamkeit im Unternehmenskontext

abstract: Achtsamkeit ist als Thema in der Wirtschaft angekommen. Studien haben gezeigt, dass Achtsamkeitspraxis mentale Funktionen positiv verändert und bei der Regulation von Affekten und Aufmerksamkeit hilft. Aber wieso kümmern sich jetzt auch Unternehmen um Achtsamkeit? Wie sehen die Anforderungen an Führungskräfte in dieser sich immer schneller drehenden Welt aus? Die Kalapa Leadership Academy hat es sich zum Ziel gemacht, Wissenschaft, Achtsamkeit und Führung zu verbinden. Eine 2013/2014 von ihr durchgeführte Studie hat gezeigt, dass Teilnehmer deutlich besser Stress regulieren können, sich weniger angespannt und belastet fühlen, und in objektiven Aufmerksamkeitstests klare Verbesserung nachweisbar sind. Mittlerweile fragen mehr und mehr Unternehmen eine solche Art von Training nach.