Aufbruchstimmung

Den Bericht beginnen wir mit dem Schluss: Jochen Schweitzer, der Organisator des Kongresses, hatte uns gebeten, unter der Überschrift „Schlussduett“ die Tagung zu beschließen. So wählten wir musikalische Metaphern für die Schlussreflexion: Dem „Komponisten“ ist es gelungen, ein „Konzert“ zu schreiben, das – durch hervorragende Musiker „gespielt“ - die Zuhörer vom ersten bis zum letzten Moment in Bann zog und mitriss. Eine gut durchdachte Melodieführung sorgte für eine Stimmung von Anregung und Aufbruch, eine Reihe von „Paukenschlägen“ hielten das Auditorium wach und aktiv. Nach der Eröffnung durch Jochen Schweitzer und Detlef Kommer, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer, bildeten zwei Vorträge den ersten „doppelten Paukenschlag“: Jose Szapocznik, einer der „grand old men“ der Psychotherapieforschung, schilderte eindrückliche Forschungsergebnisse zu einem kontrollierten Projekt systemischer Kurztherapie bei adoleszenten Drogenabhängigen mit schweren Verhaltensauffälligkeiten (Manual erhältlich unter www.drugabuse.gov). Er zeigte gleich zu Beginn, dass es durchaus möglich ist, im Forschungswettbewerb zu bestehen, wie eine beeindruckende Palette staatlicher und universitärer Gütesiegel beweist. Peter Fraenkel berichtete über ein bewegendes Projekt mit „Homeless Families“ in New York, derzeit schwerpunktmäßig noch qualitativ beforscht, doch auch er plädierte für den Einsatz randomisierter Designs. Am Nachmittag begannen dann verschiedene „Musiker“ zu spielen: In 13 Methodenworkshops wurden qualitative und quantitative Modelle präsentiert, in mehreren Teilplena (u.a. Ergebnisforschung, Praxisforschung, OE-Projekte) wurden ausgewählte Studien vorgestellt (die vier besten wurden prämiiert). So war die Tagung über knapp drei Tage hinweg von einer enormen Arbeitsintensität gekennzeichnet – ohne dass wir ermüdeten. Abgesehen davon, dass es auch echte Musik auf dem gelungenen Tagungsfest gab, erlebten wir immer wieder „Paukenschläge“: Kirsten v.Sydow zeigte sich in ihrem Überblicksvortrag zum „Stand der Kunst“ in der Interventionsforschung selbst von der recht guten Befundlage überrascht. Seit 1999, der Ablehnung des Antrags durch den Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie, sind so viele neue Studien hinzugekommen (wenn auch vorwiegend aus USA und England), dass, so ihr Fazit, es sich lohne, den Antrag auf Anerkennung neu zu stellen. Stefan Beher unterstützte mit den Ergebnissen seiner Diplomarbeit „Fünf Jahre nach dem Schiepek-Gutachten“ die These: auch aus wissenschaftlicher Sicht ist „the state of the art“ der Systemischen Therapie in Hinblick auf einen Neuantrag besser als gedacht. Innovativ und beachtenswert ist die europaweit vernetzte Arbeit mit magersüchtigen Kindern und Jugendlichen, die E. Asen und G. Scholz engagiert und durch bewegende Videobeispiele konkretisiert vorstellten. Ein Projekt, das von der DFG wegen fehlender Versorgungsrelevanz abgelehnt wurde – wie die mündliche Mitteilung lautete. Ein Highlight war auch Eia Asens humorvoll-lebendiger Bericht über die Londoner Depressionsstudie: systemische Paartherapie, kognitive Verhaltenstherapie und Pharmakotherapie waren zum Vergleich ihrer manualisiert beschriebenen Therapien angetreten. Während die KVT ausschied, da alle Patienten vorzeitig abbrachen, die Pharmagruppe eine Drop-outrate von 56,8% aufzeigte, blieben 85% der systemischen Gruppe (n=40) mit guten und langfristig stabilen Ergebnissen im Projekt (Details nachzulesen bei Leff, J. et al. in Familiendynamik 27(1) 2002). Seine Erzählungen über den Umgang mit der Publikation der Befunde gab einen Eindruck davon, wie bedrohlich diese Arbeit wohl wahrgenommen wird: Ablehnung des Beitrages ohne Reviewverfahren zwei Tage nach der Einsendung mit der Begründung, die Leser hätten an so etwas „kein Interesse“; als der Artikel dann endlich erschien, tauchte im Abstract ein kleiner Druckfehler auf, der die Dropoutrate bei medikamentöser Behandlung plötzlich auf 5,68% reduzierte.... Am letzten Tag sollten „Task-Forces“ Empfehlungen aussprechen. Sicher die weitreichendste war die, dass SG und DGSF das Angebot von K.v.Sydow eingehend prüfen sollten, die Grundlagen für einen Neuantrag auf Anerkennung der systemischen Therapie für den Bereich Kinder und Jugendliche zu erarbeiten – bei allen „Bauchschmerzen“, die auch geäußert wurden, war die Entscheidung deutlich: wir brauchen uns nicht zu verstecken! Engagierte Unterstützung kam abschließend noch durch den „Schlussakkord“, einen Vortrag von Helmut Willke, der die Systemiker aufrief, die Ressource des Praxiswissens als Kapital mehr zu nutzen, sich mit dieser Ressource unverzichtbar zu machen, „Centers of Excellence“ zu bilden. Allen Akteuren dieser außergewöhnlichen Tagung gebührt Anerkennung, ein besonderer Dank geht an Jochen Schweitzer für seinen Mut und seine Initiative. Am Schluss stand der einhellige Wunsch fest, in absehbarer Zukunft erneut eine Forschungstagung abzuhalten. Helm Stierlin äußerte seine Freude über die Aufbruchstimmung auf der ganzen Tagung, die ihn an die Anfangszeiten der Familientherapie erinnere. Die Zeit der Lähmung ist offenbar vorbei. Wir sind in der Lage, wieder Schritte nach vorn zu gehen. Arist v.Schlippe (1. Vorsitzender der Systemischen Gesellschaft) Friedebert Kröger (Stellv. Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie und Familientherapie)