Horst-Eberhardt Richter ist tot

Nachruf auf Horst-Eberhard Richter von Jochen Schweitzer

Am Montag, dem 19. Dezember 2011 starb Prof. Dr. med. Dr. phil. Horst Eberhard Richter. Der 1923 geborene Psychoanalytiker und Psychosomatiker gehört zu den wichtigsten Pionieren der Familientherapie im deutschen Sprachraum. Seine Bücher „Patient Familie“ und „Eltern Kind und Neurose“, aus Richters familienorientierter Beratungsarbeit im Berliner Stadtteil Wedding in den 1950er und 1960er Jahren heraus entstanden, begründeten eine psychoanalytisch orientierte Familientherapie, in der das Bewusstmachen unbewusster Wünsche der Eltern an ihre Kinder eine zentrale Rolle spielen.

Ab 1964 wurde Richter Ordinarius für Psychosomatik an der Universität Gießen. Hier entwickelte er mit Dieter Beckmann den „Gießen-Test“ als paardiagnostisches Instrument und baute mit Annegret Overbeck, Angela Plass, Terje Neraal, Wolfgang Dierking, Hans Jürgen Wirth und anderen eine familientherapeutische Arbeitsgruppe auf. Unter dem Einfluss der Studentenbewegung engagierte sich Richter auch in der Stadtteil- und Gemeinwesenarbeit in sozialen Brennpunkten („Lernziel Solidarität“) und bot mit seinen Mitarbeitern 1976 die erste Weiterbildung in psychoanalytischer Familien- und Sozialtherapie an.

Sein Einfluss war wesentlich bei der Gründung der „Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Familientherapie“ im Jahr 1978 in Gießen. Basisdemokratisch und etwas anarchisch organisiert, sollte sich die DAF der Verknüpfung von Familienpsychotherapie und sozialpolitischem Engagement widmen. Von Vornherein organisierte die DAF spannende und für die damalige Zeit relativ große Kongresse. 1987 spaltete sich der“ Dachverband für Familientherapie und Systemische Arbeit“, 1993 die „Systemische Gesellschaft“ von der DAF ab, bis im Jahr 2000 DAF und DFS wieder zur Deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie und Familientherapie (DGSF) fusionierten.

Richter selbst wurde die Familientherapie ab etwa 1980 ein zu kleines Aktionsfeld. Unter dem Einfluss der Friedensbewegung engagierte er sich in der Internationalen Vereinigung der Ärzte gegen den Atomkrieg (IPPNW) und wurde deren Symbolfigur im deutschen Sprachraum. „Ruhestand“ war für Horst Eberhard Richter offensichtlich keine relevante Kategorie. Noch in seinen Siebzigern wirkte er, schon lange emeritiert, für einige Jahre auch als Direktor des Sigmund-Freud-Instituts in Frankfurt.

Unter deutschen Familientherapeuten war Richter keineswegs unumstritten. Einige Kollegen hielten seinen Buchtitel „Patient Familie“ eher für ein Problem als für eine Lösung. Seine Abneigung gegen das "Systemische" - unter System verstand er angelehnt an Habermas so etwas wie das herrschende, auf Anpassung orientierte, technokratische  Wirtschafts- und Politiksystem, im Kontrast zur eigensinnigen Lebenswelt der Individuen, systemische Therapie imaginierte er als manipulative Anpassungstechnologie  - förderte Spaltungen zwischen eher psychoanalytisch und eher systemisch orientierten Kollegen. Gleichwohl: Richter war ein kluger, weitblickender, politischer und antreibender Pionier, ohne den nicht nur die Familientherapie, sondern (in der Abgrenzung zu ihm ab 1980) auch die Systemische Therapie und die DGSF nicht dort stünden, wo sie heute stehen. Die Öffnung der DGSF in Richtung eines auch sozialpolitischen Mandats, ihr berufsgruppenübergreifender Charakter und ihre schönen Jahrestagungen stehen in seiner geistigen Tradition.

Jochen Schweitzer, DGSF-Vorsitzender