Leitlinien zur Paar- und Familientherapie publiziert

Behandlungsleitlinien sind in der Medizin nichts Ungewöhnliches: Sie werden nach einer Vorgabe des Bundesministeriums für Gesundheit erstellt, damit Patienten diejenige Behandlungen erhalten, die sich nach dem wissenschaftlichen Kenntnisstand als zweckmäßig und aussichtsreich erwiesen haben. Leitlinien sind Behandlungsempfehlungen. Sie werden durch eine Redaktionsgruppe erarbeitet, in die neben wissenschaftlichen Experten auch praktizierende Ärzte und Patienten mit einbezogen werden; ein erweiterter Expertenkreis diskutiert die Entwürfe in einer Konsensuskonferenz, deren Ergebnis von einer so genannten "Delphirunde" noch einmal validiert wird, bevor die Fachgesellschaften die Leitlinie bestätigen. Leitlinien sollen gleichermaßen das wissenschaftliche Fundament und die Praxisrealität berücksichtigen. Sie werden in aller Regel für spezielle Krankheitsbilder in den medizinischen Fachgebieten erarbeitet. Insofern ist die Leitlinie zur Paar- und Familientherapie, die im Fachgebiet Psychosomatische Medizin und Psychotherapie erstellt wurde, eine Besonderheit, weil sie sich auf eine Behandlungsmaßnahme bezieht. Die Autoren begründen dies wie folgt: "Die Beachtung und die Einbeziehung des interpersonellen Kontextes in die Behandlung psychischer und psychosomatischer Störungen erscheint daher so wichtig und die Behandlungsmaßnahmen sind zugleich so komplex, dass es sinnvoll ist, eine spezielle Leitlinie zur Paar- und Familientherapie zu formulieren" (Seite IX). Die Federführung in der Redaktionsgruppe hatte Dr. Peter Scheib. Prof. Dr. Michael Wirsching war Koordinator des Prozesses der Leitlinienentwicklung. Dem erweiterten Expertenkreis gehörten 30 weitere Personen an, die im Kreis der Paar- und Familientherapie sowie in der Systemischen Therapie Rang und Namen haben. Ein erster Entwurf der Leitlinie wurde im Januar 1998 in einer ersten Konsensuskonferenz vorgestellt, im Februar 1999 erneut redigiert und schließlich von den psychosomatischen Fachgesellschaften angenommen. Die Leitlinie wurde in den Katalog der Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlich medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) aufgenommen und ist 2004 im Schattauer Verlag erschienen. Zentral für den Leitlinienprozess war, Paar- und Familientherapie als Behandlungssetting innerhalb der verschiedenen Therapieverfahren zu verstehen und sie abzugrenzen zur Systemischen Therapie, "die sich mittlerweile als eigenständiges Verfahren mit eigener Krankheitstheorie und Methodologie versteht" (Seite XV). Die Leserin / der Leser findet in der Leitlinie eine Definition der Paar- und Familientherapie, Empfehlungen zur Indikation und Kontraindikation, zur Diagnostik, zu Behandlungstechniken, zur Qualitätssicherung und zu ethischen Fragestellungen. Der eigentlichen dreizehnseitigen Leitlinie ist ein 45seitiger Quellentext beigefügt, der die Leitlinie kommentiert. Ein umfangreiches Literaturverzeichnis komplettiert den Band. Leitlinienentwicklung hat immer Prozesscharakter und ist daher niemals abgeschlossen. Insbesondere hinsichtlich der Wirksamkeitsstudien zur Paar- und Familientherapie / Systemischen Therapie kann der vorliegende Band nicht mehr ganz aktuell sein. Es ist jedoch mehr als bemerkenswert, dass es eine Leitlinie zur Paar- und Familientherapie gibt, die von den wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften als solche bestätigt wurde. Das ist in erster Linie ein Verdienst der Autoren Peter Scheib und Michael Wirsching. Tatsächlich ist diese Leitlinie auch ein Gewinn für den Praktiker / die Praktikerin, bietet sie doch einen Rahmen für die paar- und familientherapeutische Arbeit, ohne dass sie – und das wäre ein fatales Missverständnis – eine Richtlinie sein will. (kr)