Kommentierung der Leitlinie Depression

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Erläuterungen dazu aus Kontext 4/2008 (Seite 427)

Die Systemische Therapie und die Mediziner:
Die traurige Geschichte von dem Traum, in die S3-Leitlinie NVL Unipolare Depression aufgenommen zu werden

Zum besseren Verständnis des nachfolgenden Berichtes zunächst eine Definition aus Wikipedia vom 6.10.2008:

Medizinische Leitlinien sind „systematisch entwickelte Hilfen zur Entscheidungsfindung über die angemessene ärztliche Vorgehensweise bei speziellen gesundheitlichen Problemen“ und damit eine Orientierungshilfe im Sinne von „Handlungs- und Entscheidungsoptionen“, von der in begründeten Fällen abgewichen werden kann oder sogar muss. Sie sind systematisch entwickelte und wissenschaftlich begründete und praxisorientierte Handlungsempfehlungen. Ihr Hauptzweck ist die Darstellung des fachlichen Entwicklungsstandes einer Profession. Sie geben den Angehörigen dieser Profession Orientierung im Sinne von Entscheidungs- und Handlungsoptionen. Die Umsetzung liegt bei der fallspezifischen Betrachtung im Ermessensspielraum des Arztes oder der Ärztin, ebenso sind im Einzelfall die Präferenzen der Patienten in die Entscheidungsfindung einzubeziehen.

Bei einer „evidenz"- und konsensbasierten Leitlinie handelt es sich um den nach einem definierten, transparent gemachten Vorgehen erzielten Konsens multidisziplinärer Expertengruppen zu bestimmten Vorgehensweisen in der Medizin unter Berücksichtigung der besten verfügbaren „Evidenz“. Grundlage dieses Konsenses ist die systematische Recherche und Analyse der wissenschaftlichen „Evidenz“ aus Klinik und Praxis.

In Deutschland werden ärztliche Leitlinien primär meist von den Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften der ärztlichen Selbstverwaltung (Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung) oder von Berufsverbänden entwickelt und verbreitet.

Leitlinien für die strukturierte medizinische Versorgung (d.h. für die Integrierte Versorgung und für Disease-Management-Programme) werden Versorgungsleitlinien genannt. In diesem Zusammenhang wird beim Ärztlichen Zentrum für Qualität in der Medizin (ÄZQ) das Programm für Nationale Versorgungsleitlinien unterhalten.

Leitlinien werden nach dem System der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) in drei Entwicklungsstufen von S1 bis S3 entwickelt und klassifiziert, wobei S3 die höchste Qualitätsstufe ist.

  • S1: von einer Expertengruppe im informellen Konsens erarbeitet
  • S2: eine formale Konsensfindung und/oder eine formale „Evidenz“-Recherche hat stattgefunden
  • S3: Leitlinie mit zusätzlichen/allen Elementen einer systematischen Entwicklung (Logik-, Entscheidungs- und „Outcome“-Analyse, Bewertung der klinischen Relevanz wissenschaftlicher Studien)

In den vergangenen drei Jahren wurde eine solche S3-Leitlinie zur unipolaren Depression von vielen deutschen Experten erarbeitet und 2007 von der zuständigen Konsensusgruppe als Gesamtpaket zusammengestellt. Der Vorstand der DGSF hatte zu Beginn der Leitlinienarbeit 2005 zugesagt, sich an einem abschließenden Peer-Review-Verfahren zu beteiligen. Ende 2007 wurde uns eine Gesamtversion des Leitlinientextes inclusive evidenzbasierter Empfehlungen und eines Anhanges zur Kommentierung zur Verfügung gestellt, die von uns gelesen wurde. Erster Eindruck: eine sehr sorgfältig erstellte Leitlinie. Allerdings: trotz empfundenem Bemühen um Ausgewogenheit bestand immer noch eine Überbetonung der medikamentösen Therapie. Sehr begrüßenswert fanden wir die Aufnahme des Konzeptes der partizipativen Entscheidungsfindung und den immerhin großen Stellenwert der Psychotherapie. Die Systemische Therapie/Familientherapie war deutlich unterrepräsentiert.

Wir konnten Kirsten von Sydow dafür gewinnen, ein Kapitel zur Systemischen Therapie/Familienherapie zu verfassen. Dieses Kapitel, das sich auf eine ganze Reihe guter RCT-Studien berief, wurde der Koordinierungsstelle der Leitlinie zur Verfügung gestellt und schien nach dortiger Auskunft eine große Chance zu haben, in die Leitlinien aufgenommen zu werden.

Überraschenderweise wurde unser Ergänzungsvorschlag dann mehrheitlich abgelehnt, mit der Begründung: „Hinsichtlich der Beschreibung der Therapie und ihrer Methoden wurde die Spezifität bezüglich der Depression vermisst. Bei der Darlegung der Evidenz zur Wirksamkeit wurde insbesondere die Unterschiedlichkeit der Therapieformate bemängelt, die es nicht rechtfertige, von einer uniformen Wirksamkeit aller Verfahren innerhalb der Systemischen Therapie auszugehen“. Wir halten diese Begründung für sachlich falsch und haben dies in einem Antwortschreiben an die Leitlinienkommission auch ausführlich dargestellt.

Uns bleibt jetzt nur, im Rahmen eines Aktualisierungsprozesses bei der nächsten Runde 2010/2011 unseren Einfluss geltend zu machen. Bis dahin liegen möglicherweise neue Beschlüsse des Wissenschaftlichen Beirates Psychotherapie vor, die unser Ansinnen unterstützen.

Wir werden dran bleiben und den Stein weiter höhlen!

(Susanne Altmeyer)