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Nicht Zukunft gestalten, sondern Armut verwalten! DGSF unterstützt bundesweite Kritik von Fachverbänden an Referentenentwurf zur Kindergrundsicherung

Am 30. August 2023 wurde der Referentenentwurf des Bundesfamilienministeriums zur Einführung einer Kindergrundsicherung veröffentlicht. Erklärtes Ziel ist, bessere Chancen für Kinder und Jugendliche zu schaffen, mehr Familien und ihre Kinder mit Unterstützungsbedarf zu erreichen und dadurch die Kinderarmut in Deutschland zu bekämpfen. Dafür setzt sich die DGSF als Mitglied des Bündnis Kindergrundsicherung seit Jahren ein.

Der nun vorgelegte Referentenentwurf enthält einige Maßnahmen, die tatsächlich Verbesserungen für Kinder darstellen und begrüßenswert sind! Leider bleiben aber viele Regelungen weit hinter dem Ziel zurück, einen einfachen, bürokratiearmen, übersichtlichen und tatsächlich praktikablen Zugang bedürftiger Kinder zu existenzsichernden Leistungen „aus einer Hand“ zu gewährleisten.

Es werden jetzt die bisherigen finanziellen Förderungen, wie das Kindergeld, die Leistungen für Kinder und Jugendliche im Bürgergeld und der Sozialhilfe, der Kinderzuschlag und Teile des Bildungs- und Teilhabepaketes, durch eine neue „Kindergrundsicherung“ ersetzt. Leider werden dabei bereits jetzt bestehende Schnittstellenprobleme zwischen verschiedenen Leistungen nur verschoben und nicht behoben!

Die DGSF schließt sich ausdrücklich der Kritik zahlreicher Verbände an und unterstützt insbesondere die Positionierungen der Bundeserziehungshilfeverbände, des AWO Bundesverbands, des Kinderschutzbundes Bundesverbandund des Deutschen Sozialgerichtstags e.V.

Äußerst problematisch sind die vorgesehenen rechtlichen Neuregelungen für die von Armut besonders betroffenen Menschen:

  • Alleinerziehende
  • Careleaver:innen
  • Familien, deren Kinder in Pflegefamilien und Einrichtungen leben
  • Kinder im Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG)

Alleinerziehende

Die vorgesehene Regelung ist für Kleinkinder von Alleinerziehenden, die heute im Bürgergeldbezug sind, eine deutliche Verbesserung zum Ist-Zustand und ausdrücklich zu begrüßen. Bei diesen Familien trifft es einen Teil der Gruppe mit der aktuell höchsten Armutsgefährdungsquote. Deutlich kritisiert werden jedoch die möglichen finanziellen Einschränkungen ab dem Schuleintritt, die in Zusammenhang mit der Höhe der Unterhaltsleistungen stehen und durchaus Kinder schlechter stellen können als bisher. Die damit in der öffentlichen Diskussion verknüpften sogenannten Arbeitsanreize an alleinerziehende Eltern sind frech und negieren den Vorrang des Kindeswohls!

Careleaver:innen

Der Referentenentwurf lässt die Situation von jungen Menschen, die eine Zeitlang in ihrer Kindheit und Jugend in stationären Einrichtungen der Hilfen zur Erziehung oder in Pflegefamilien gelebt haben, gänzlich unberücksichtigt. Careleaver*innen kommen ganz überwiegend aus sehr schwierigen Lebensverhältnissen. Nicht wenige geraten in der biographisch herausfordernden Zeit des Übergangs aus der Wohngruppe oder dem Auszug aus der Pflegefamilie in existenzielle Notlagen. Von den Eltern werden sie kaum oder gar nicht unterstützt, können auf wenig bis keine familiären Ressourcen zurückgreifen. Viele haben zu ihnen keine dauerhaft belastbare Beziehung.

Die Kindergrundsicherung ist jetzt elternabhängig ausgestaltet und damit der Zugang vom Mitwirkungswillen und der Mitwirkungsfähigkeit der Eltern abhängig. Den Careleaver*innen wird hier die Verantwortung zugeschoben, diese Mitwirkung zu aktivieren. Da sie in der Regel die Kindergrundsicherung nicht selbst beantragen können, stehen sie vor der Wahl, sich entweder dem hoch belastenden Kontakt zu den Eltern ohne Unterstützung auszusetzen oder auf die Kindergrundsicherung zu verzichten und in gesteigerter Armut zu verharren!

Familien, deren Kinder in Pflegefamilien und Einrichtungen leben – Absicherung der Wohnung

Der Referentenentwurf enthält keinerlei Regelungen dazu, was mit den Kosten für die Wohnung der Eltern, die Bestandteil der Kindergrundsicherung sind, geschieht, wenn das Kind in eine stationäre Hilfe zur Erziehung aufgenommen wird. Sie kann in Gefahr kommen, wenn der Kostenanteil nicht mehr zur Verfügung steht. Viele Kinder, die in Pflegefamilien und Heimeinrichtungen leben, haben Kontakt zu ihren Eltern, denn nur über Kontakte sind Rückführungen in die Familien perspektivisch möglich. Steht Kindern in der Wohnung der Eltern kein eigener, separater Schlafplatz und persönlicher Rückzugsort mehr zur Verfügung, sind Hilfeplanziele der Jugendhilfe im Rahmen der Stabilisierung der familiären Situation und Rückkehr des Kindes kaum umsetzbar!

Ausschluss von Kindern im Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG)

Geflüchtete Kinder, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) beziehen, sind bereits heute stark von Armut betroffen. Daher ist es absolut unverständlich, warum sie von der Kindergrundsicherung ausgeschlossen werden.

Dies verletzt die Rechte der Kinder und widerspricht der UN-Kinderrechtskonvention[1], die auch in Deutschland gilt. Eine Diskriminierung zu Zwecken der Migrationssteuerung auf Kosten des Kindeswohls und des Rechts auf Bildung verletzt mehrere Kinderrechte. Die Kindergrundsicherung hätte von ihrem Leitbild her das Potential, eine einheitliche, diskriminierungsfreie und damit entstigmatisierende Leistung für alle Kinder zu sein und die kinderrechtswidrigen und exkludierenden Leistungen des AsylbLG für Kinder zu überwinden. Dass in den Verhandlungen dieser Ansatz nicht beibehalten wurde, obwohl dies zu Beginn

durch das BMFSFJ richtigerweise vorgesehen war, wird deutlich kritisiert!  Integration und Teilhabe an Bildung kann mit den Leistungen des AsylbLG nicht erreicht werden, denn diese sind noch niedriger als die Regelbedarfe nach dem SGB II und SGB XII.

Die DGSF schließt sich hier dem Fazit des Deutschen Sozialgerichtstags zu diesem Thema an: „Das Gebot der Existenzsicherung ergibt sich aus dem verfassungsrechtlichen Anspruch auf Wahrung der Menschenwürde. Dieser ist nicht nach dem Aufenthaltsstatus differenzierbar.“

Schlussfolgerung

Die Einführung einer echten Kindergrundsicherung ist eine Chance, einen tatsächlichen Paradigmenwechsel der Sozialgesetzgebung einzuläuten und Armut tatsächlich zu bekämpfen und nicht nur anders zu verwalten. Der vorliegende Gesetzentwurf greift zwar wichtige Forderungen der Fachverbände auf, bleibt aber auf einer Ebene, die gerade besonders vulnerable Zielgruppen nicht erreicht. Es wird deutlich: der Kampf gegen Kinderarmut hat für einzelne Ministerien Priorität, nicht aber für die Bundesregierung insgesamt.

 

Bericht:  Birgit Averbeck



[1] Schmahl, Kommentar zur UN-KRK, 2. Auflage 2017, Art. 26 Rn. 8.