Die »etwas andere Jahrestagung«

Eine gute Tagung wirkt nach durch die Erinnerung an anregende Diskussionen, gute Begegnungen, klärende Auseinandersetzungen, die zu einem guten Ergebnis führen und hilfreiche Anregungen für die Praxis. Die Jahrestagung 2009 hatte von allem etwas. Diese „etwas andere Jahrestagung“ der DGSF fand wie in den Vorjahren im September – diesmal in Potsdam – statt. Neu war die Ausrichtung der Tagung, die diesmal nicht in einen Fortbildungskongress eingebunden war, sondern als „DGSF am Fluss – die etwas andere Jahrestagung“ schwerpunktmäßig auf die Diskussion der Mitglieder und die Entwicklung des Verbandes ausgerichtet war. Rund 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren der Einladung des Vorstands gefolgt und erlebten an drei Tagen in wunderschöner und spätsommerlicher Umgebung einen intensiven Informations- und Klärungsprozess, der unseren Verband sicherlich nach vorn gebracht hat.

Das inhaltliche Rahmenthema beschäftigte sich an zwei Tagen mit Fragen zu Armut und Reichtum und deren sozialen, familiendynamischen und psychischen Folgen. Der Eröffnungstag fokussierte – quasi gegen den Strich gebürstet – auf psychodynamische Aspekte des Themas. Mit Rolf Haubl, Direktor des Sigmund Freud Instituts Frankfurt, zur Psychologie des Geldes und Micha Hilgers, Psychoanalytiker und Publizist aus Aachen, zu Psychotherapie im Turbokapitalimus referierten zwei exponierte Vertreter der Psychoanalyse, woraus sich in den anschließenden Untergruppen und dem Abschlussplenum lebhafte Diskussionen ergaben.

Der Freitagvormittag stand im ersten Teil unter dem Motto „Perlen am Fluss – unser systemischer Markttag“. Nach einer gelungenen musikalischen Einstimmung durch Mirka Mörl tagten acht Fachgruppen der DGSF und diskutierten aktuelle Themenstellungen aus ihren Bereichen. Parallel dazu bot der Markt Interessierten ein Treffen des Herausgeberteams des Kontext, des Ethikbeirats, des Fort- und Weiterbildungsausschusses und – in Form einer offenen Sprechstunde – der berufspolitischen Sprecherin Anni Michelmann zur Fragen der Psychotherapieausbildung und Kassenanerkennung.

Im zweiten Teil des Vormittags offerierte der systemische Markttag neun kleine Workshops, die mit viel Interesse und Spaß durchgeführt wurden. Besonderen Anklang fanden die „Systemischen Groschensongs“, die von Susanne Altmeyer und Hans Reinhardt mit Klavierbegleitung von Mirka Mörl gekonnt vorgetragen wurden.

Der frühe Nachmittag war den internen Kontroversen vorbehalten. In drei großen Foren wurden aktuelle „Baustellen“ des Verbandes besprochen. Das erste Forum thematisierte am Beispiel der Aufsuchenden Familientherapie die Problematik eines Gütesiegels für gute Praxis. Für beide Positionen – pro Siegel und contra Siegel – gab es gewichtige Argumente und entschiedene Vertreter/innen. Eine lange und engagierte Diskussion endete mit einem Kompromiss, der nicht durch ein Gütesiegel, sondern durch die Formulierung von Qualitätskriterien gekennzeichnet war. Das zweite Forum behandelte – vor dem Hintergrund eines entsprechenden Antrags an die Mitgliederversammlung – eine Namensänderung des Verbandes. Hier wurde schnell deutlich, dass eine sinnvolle Namensänderung mehrheitlich befürwortet wurde. Diskutiert wurde daher schwerpunktmäßig über eine inhaltliche Präzisierung des Namens und den richtigen Zeitpunkt für eine Änderung. Konsens war hier, eine Namensänderung nicht über das Knie zu brechen und den Mitgliedern bis zur Tagung 2010 in Heidelberg die Zeit einzuräumen, sich in diesen Entscheidungsprozess einbringen zu können. Das dritte Forum zu Fragen einer Teilvergütung für DGSF-Funktionsträger/innen legte – im Nachhinein betrachtet für viele überraschend – die größte Kontroverse offen, da hier die anwesenden Vorstandsmitglieder mit erheblichen Bedenken und Vorbehalten gegen eine Teilfinanzierung von Leistungen konfrontiert wurden, die auch in die anschließende Mitgliederversammlung einflossen.

Die Mitgliederversammlung der DGSF arbeitete diszipliniert eine lange Tagesordnung ab. Nach einem intensiven Vorbereitungsprozess wurden unter anderen die Akkreditierungsrichtlinien für Mitgliedsinstitute sowie die Coaching-Richtlinien beschlossen. Michaela Herchenhan und Rainer Schwing wurden für drei weitere Jahre in ihrem Vorstandsamt bestätigt. Zu Ehrenmitgliedern wurden Marie-Luise Conen und Gisal Wnuk-Gette ernannt. Die Satzung wurde erweitert, um zukünftig Studierenden eine Mitgliedschaft zu ermöglichen. Ausgehend von den Vordiskussionen in den drei genannten Foren wurden zum einen Qualitätskriterien als Standard für Aufsuchenden Familientherapie verabschiedet. Der vorliegende Antrag auf Namensänderung wurde einvernehmlich zurückgezogen, um eine längere inhaltliche Diskussion zu ermöglichen. Ebenfalls zurückgezogen wurde – für viele überraschend – der Antrag des Vorstands auf Einführung einer Teilvergütung für Funktionsträger/innen, nachdem in einigen Diskussionsbeiträgen nachhaltig die Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit von ehrenamtlicher Tätigkeit im Verband betont worden war und sowohl die Staffelung der Teilvergütungen wie auch der gesamte Kostenrahmen in Frage gestellt wurden. Die Verfasser dieses Berichtes – als Mitglieder langjährig ehrenamtlich im Verband engagiert – bedauern dies sehr. Wer lange genug dabei ist und sich in irgendeiner Form längerfristig engagiert hat, weiß, wieviele ungezählte Stunden ehrenamtlicher Arbeit bereits in den Ausschüssen, Arbeits- und Fachgruppen anfallen. Umso mehr gilt das für einen Vorstand, der einen Verband von mehr als 3000 Migliedern qualifiziert führen soll. Die Diskussion wird in den Gremien und Ausschüssen qualifiziert weitergeführt und notwendigerweise auf der nächsten Mitgliederversammlung in Heidelberg erneut zur Entscheidung anstehen.
Wie immer beschloss ein schönes Tagungsfest mit köstlichem Büfett und hinreißender Musik den arbeitsreichen Tag.

Am dritten und letzten Tag wurde das Rahmenthema der Tagung, Armut und Reichtum, erneut aufgegriffen und diesmal unter systemischen Gesichtspunkten angegangen. Zur Einstimmung führte Heliane Schnelle ein Life-Interview mit einer armen Familie aus der Region. Daran schloss sich ein Vortrag von Marie-Luise Conen über Nebenwirkungen von Armut an. Fritz B. Simon referierte abschließend über riskanten Reichtum, wobei er nicht verhehlte, dass er einen riskanten Reichtum einer riskanten Armut vorziehe.

Mit der Überreichung des Maria-Bosch-Förderpreises an zwei Absolventinnen des Kölner Vereins für systemische Beratung e. V. wurde die spannende und im positiven Sinne etwas andere Tagung in Potsdam beschlossen. Nicht Perlen, sondern Muscheln aus Fluss und Meer waren ein kleines Abschiedspräsent für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer und gleichzeitig Symbole für die Vielfalt von Eindrücken, Anregungen und Nachdenkenswertem auf dieser speziellen Jahrestagung.

Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Peter Bünder, Dr.-Simons-Straße 3, 50679 Köln; E-Mail: kontakt|at|koelner-verein.de

Fotos von der Tagung.