Migration als Herausforderung für Supervision

Migration als Herausforderung in der systemischen Supervision

So könnte man das Treffen der Fachgruppe Supervision, Coaching und Organisationsberatung auf der Jahrestagung der DGSF 2007 in Ulm überschreiben.

15 TeilnehmerInnen beschäftigten sich zusammen mit Dr. Paul Erdélyi und Katia Rittenberg als ReferentInnen und Anne Valler-Lichtenberg als Moderatorin in einer sehr lebendigen Diskussion mit Fragen des eigenen Standpunkts in der Arbeit mit MigrantInnen, mit „typischen“ Auswirkungen der Migration und mit (systemischen) Zugangswegen.

Auf mich als Teilnehmerin hatte der Workshop eine sehr aktivierende und blickwinkel-erweiternde Wirkung: spätestens in einer von Frau Rittenberg angeregten Schlussübung, die zur Nachahmung empfohlen werden kann: Skalierung/Aufstellung im Raum in Bezug auf Freude/Lust/Unlust – Offenheit/Neugier/Vorbehalte in der Arbeit mit Migrantinnen (Skala von 1 – 10 auf einer Strecke von ca. 10 m). Eine Anregung, sich mit der eigenen Haltung gegenüber Migrantinnen, mit Vorerfahrungen, Vorbehalten, Ressentiments oder auch dem besonders Reizvollen in dieser Arbeit auseinandersetzen. Auffällig viele platzierten sich trotz aller beanspruchten Offenheit und Allparteilichkeit als systemisch arbeitende SupervisorInnen um die Mitte herum. Wenige hatten sich jeweils in den Endbereichen der Skala platziert. Es gab interessante Geschichten aus der jeweiligen Biographie, die die Haltungen nachvollziehbar machten.

Der Workshop wurde sehr lebendig durch die Co-Präsentation der ReferentInnen – so in der Frage, ob mehr die Belastungen, Verluste, mögliche Traumata fokussiert werden sollten, die im Zusammenhang mit der Migration stehen, oder doch mehr die Stärken und Ressourcen herausgearbeitet, der Gegenwarts- und Zukunftsaspekt betont werden sollte. MigrantInnen begegnen als „Opfern“, von ihren bisherigen Ressourcen, Fähigkeiten, Besitzständen etc. abgeschnitten sind oder als „ExpertInnen“ für ihr Leben, als zur Anpassung und zum Widerstand fähige GestalterInnen...

Man ahnt es schon: Das eine tun ohne das andere zu lassen...

Arbeit mit MigrantInnen erfordert ausdrücklich die gewohnt systemische Unbefangenheit und eine Haltung des „Nichtwissens“ im Balancieren der Unterschiede, eine größtmögliche Offenheit, teilweise auch ein im positiven Sinne „respektloses“ Verhalten, das in der Lage ist, eigene und fremde „blinde Flecken“ zu erhellen.

Deutsche SupervisorInnen tun sich möglicherweise auf Grund der speziellen deutschen Geschichte besonders schwer, unbefangen mit der Wertewelt und dem Verhalten von Migrantinnen umzugehen. Man will auf keinen Fall diskriminieren, ausgrenzen und zögert, scheinbar kulturell bedingte Verhaltensweisen zu relativieren, neigt eher zu übergroßer Empathie und vermeidet u.U. Konfrontationen von Sichtweisen, Standpunkten oder Verhaltensweisen.

Migration ist nicht gleich Migration – die Arbeitseinwanderer der 70er-Jahre unterscheiden sich in Motivation und Erfahrungshintergrund drastisch von möglicherweise gegen ihren Willen mitgereisten Jugendlichen, die sich schwer tun, Perspektive und Zukunft in Deutschland zu entwickeln,  oder von  traumatisierten Kriegsflüchtlingen.

Immer dürfte es spannend sein, den jeweiligen kulturellen Hintergrund zu erfragen oder über Bilder (Fotos, Malen), Gedichte,  Musik, landestypische Spezialitäten (kulinarisch gesehen oder bezüglich der spezifischen Rituale...) lebendig werden zu lassen.

Die beiden Seiten der Migration – Verlust, Abschied, Trauer und andererseits Chancen, Neubeginn, Zukunftshoffnungen, stärkende Erfahrungen der Menschen als „Reisende zwischen Welten“ wollen gesehen und wertgeschätzt werden.

Lebensgeschichten können erzählt und dabei manchmal auch im konstruktivistischen Sinne neu „erfunden“ werden. 

Auch meine künftige Haltung in der interkulturellen Arbeit konnte ich über den sehr kompakten, anregenden Workshop neu „er-finden“ (zur Nachahmung empfohlen).

(Margarita Straub, systemische Supervisorin, Ulm, Mitglied der Fachgruppe Supervision, Coaching und Organisationsberatung)