Tagungsbericht Leipzig 2006

Leipzig ist eine schöne Stadt, in die wir vom Institut für Familientherapie und Systemische Beratung „FAMTHERA“ zur diesjährigen Jahrestagung der DGSF (27.-30.September) geladen wurden. 35 Helfer mit gut erkennbarer gelber Schilderfärbung hatten uns mit anerkennenswerter Hilfsbereitschaft, Charme und Schnelligkeit an der Universität zu Leipzig willkommen geheißen und für alle Tage begleitet.

Das Ambiente der Universität war, erkennbar durch Baugerüste, am Werden. An der Gebäudefolge ‚Haus ohne Baugerüst – saniert’, ‚Haus mit Baugerüst- vorbeigehen’, ließ sich prächtig orientieren, Klinikmitarbeiter wiesen Wege: „da hinter dem 3. Gerüst, das neue Haus….“ Somit wurde der Fokus dieser Tagung – ein systemisches Fragen nach dem Wandel der letzten 15 Jahre  in den Familien in Ost und West eindrucksvoll unterstrichen.

Die Kongresstage boten durch ihre täglich wiederkehrende Struktur:

Auftakt/Vorträge/Podiumsdiskussion/Mittagessen/Workshops/Abendveranstaltung einen Rahmen ähnlich eines Seiles, an dem man sich entlang hangelte. Dazwischen blieb Zeit für den Kollegenschwatz.

Vor dem Hintergrund, dass nur Veränderung sicher sei, dokumentierten Kathrin Löschner und Günter Krause am Mittwoch, was es für Ost- und West- Familien bedeutete, als sie auf Ost- und West- Familientherapeuten trafen. Von Beginn der frühen 70ger in West-und erstaunlicherweise auch Ostdeutschland konnten Zusammenhänge, Sichtweisen und Veränderungen in einem Lifelinemodell deutlich gemacht werden.

Prof. Elmar Brähler unterstrich danach durch die Darstellung seiner jahrzehntelangen Forschungen, wo genau sich Unterschiede manifestierten und heute immer noch sichtbar sind. Seine humoreske Art machte Statistik anschaulich, wenn mir auch der direkte Zusammenhang zum Systemischen fehlte.

Der erste Tag wurde abgerundet durch Peter Nemetscheks Life-Darbietung des Lebensflussmodells. Die Fotoausstellung von Bernd Lasdin „Zeitenwende-Westzeit-Story“ ließ berührte Gesichter entstehen. Ich traf eine Studienfreundin inmitten dieser Ausstellung, die ich ebenfalls 10 Jahre nicht gesehen hatte, was diese Ausstellung zu meinem persönlichen Akt machte.

Der Donnerstag begann mit dem Thema Familie aus der Mehrgenerationenperspektive.

Eia Asen machte Mut die Selbstkompetenz der Familien in Bewegung zu bringen und  an deren Ressourcen zu glauben. Er zeigte unvergesslich, wie sich Verstrickungen verändern lassen, um Dysfunktionen zu beeinflussen. Besonders beeindruckt hatte mich der Film des gebeugten Mädchens, das durch die Veränderung des strukturellen Kontextes wieder gerade gehen konnte. Die Einbeziehung der Eltern in ihrer Verantwortung für die Genesung konnt gut dazu beitragen. Asens an uns weitergegebenes 6-Schritte Programm der strukturellen Therapie lässt sich sicherlich in einige Praxen transferieren. Sein Londoner Institut mit seinen über 800 Neuzugängen pro Jahr hat inzwischen überall „Ableger“.

Prof. Friedebert Kröger, der über Familien-Bande sprach, erweiterte unser aller Blickwinkel durch das Auseinandersetzen mit der Geschichte der Familie an sich,  in der es früher oft nicht mehr als 10 gemeinsam gelebte Jahre gab und trotz hoher Geburtenrate in diesen Familien nicht mehr als 3 Kinder lebten. Er verwies anschaulich auch hier auf den Wandel, unterstrich dies durch viele Zitate und einen „Scheibenwischer“ mit Herrn Riechling bei dem unsere Familienministerin parodiert wurde. Viele Mythen über Familie wurden beruhigenderweise entkräftet.

Gisal Wnuk-Gette hielt nach der Pause einen bewegten Vortrag über andere und ihre eigene Großfamilie. Sie sprach über sichtbare und unsichtbare Bindungen, Kraft- und Konfliktfelder und über interfamiliale Wiederholungszwänge. Familiengespräche mit der 3. Generation, sagte sie sinngemäß, können die Möglichkeit zur Versöhnung bewirken und dadurch neue Verbindung mit den eigenen Wurzeln herstellen, Heilung erreichen.

Ich hatte mir den Workshop von Ursula Wolter-Cornell und Tobias v.d. Recke ausgesucht, der leider ausfallen musste. Ersatzweise wählte ich das systemische Arbeiten mit Migrantenfamilien, was an die eigene innere Haltung und Toleranz appellierte, die in mir bereits vorhanden war, so dass ich die Veranstaltung nach der Pause verließ und mich kollegialen Gesprächen widmete.

Die Mitgliederversammlung am Abend dauerte wie immer lang, hatte Ergebnisse, es wurde kontrovers diskutiert. Die Satzungsänderung wurde mit kleinen Änderungen beschlossen, ein neuer Vorstand wurde gewählt. Neu in den DGSF-Vorstand gewählt wurden Michaela Herchenhan und Rainer Schwing, ausgeschieden sind Anne Valler-Lichtenberg und Klaus Osthoff. Neu gewählt in den Weiterbildungsausschuss wurden Helmut Brinkmann und Volker Mai. Für den Vermittlungsausschuss neu gewählt wurde Gabriele Schaal. Ich selbst genoss die Zauberflöte im Opernhaus, auch das ist Leipzig.

Freitagvormittag berichtete ein gestandener „Ost-Familientherapeut“ Prof. Miachael Scholz aus Dresden von seinen Erfahrungen und vor allem vom Wandel innerhalb des stationären Betriebes mit Anorexiepatienten.

Frau Annegret Sirringhaus-Bünder demonstrierte die  Marte-Meo-Methode anhand einer Mikroanalyse. Besonders beeindruckend, weil sie ein Beispiel einer gelungenen Mutter-Kind-Interaktion wählte.

Die systemische Traumatherapie  von Reiner Hanswille enthielt für mich merkwürdige Verknüpfungen, die gestandenen Traumatherapeuten eine gewisse Röte ins Gesicht getrieben hätte, hätte der Redner nicht seine persönliche Sicht immer wieder erinnert.

Mein zweiter Workshop handelte von Hypnotherapie und Alltagstrancen. Das Kind als Unbewusstes der Familie zum Ausgangspunkt für einen neuen Rahmen zu nehmen und dazu Alltagstrancen zu nutzen wurde mir eindrucksvoll gezeigt. Frau Grünewald-Selig ließ sich auf die Finger schauen, arbeitete nicht mit „Methödelchen“, sondern mit der Integration dieser Methoden in die eigene Haltung und Arbeitsweise. Im letzten Teil des Workshops zeigte sie uns in einer Demonstration, was sie im Vorfeld mit uns erarbeitet hatte.

Ein kulturelles Rahmenprogramm gab es mit dem Tagungsfest am Freitag im Bayrischen Bahnhof, der umzingelt von einer Baustelle war. Ein tolles Programm, sehr gute Küche und wie immer zu wenig Platz zum Tanzen. Es wäre schade, wenn das im nächsten Jahr anders wäre. Es macht Spaß Tische zu schieben. Bei einigen Teilnehmern entstehen schon beim Betreten des Saales Tischschiebelustfünkchen in den Augen.

Am Samstag half uns Walter Cormann mit einer Lifedemonstration über die Müdigkeit hinweg, das Fest war lang. Nichtsdestotrotz sah ich fast alle, die bis zum Schluss geblieben waren.

Ganz wach wurden die letzten spätestens bei Heliane Schnelles Beitrag über systemische Strategien im Schulalltag, zu dem es am Ende viele Publikumsmeldungen gab. Ein mit Feuer vorgetragener Bericht, nicht aufzugeben, wenn sich systemische Sichtweisen an Schulen nicht gleich etablieren lassen.

Der Abschlussvortrag wurde auf Russisch gehalten und die die des Russischen nicht mächtig waren hatten Pech, könnte man gedacht haben, doch Dr. Andrej Sergejew erinnerte sich nach drei Sätzen doch, dass er nicht in Russischen Gefilden weilte. Die Russische Familie unterscheide sich grundsätzlich dadurch, ob sie in der Stadt wohne oder auf dem Lande. Während die „städtischen Probleme“ den Europäischen eher ähnele, seien die ländlichen traditionell geprägt und von jahrhundertealten Traditionen durchzogen. In diesen Familien dominiere beispielsweise die Mutter des Vaters, was zu erheblichen Problemen in der Grenzsetzung zwischen den Generationen führe. Mit vielen seiner russischen Witze darüber, erntete der Redner echte Brüller, was die Tagung wirklich inhaltlich abrundete. Mit viel Beifall wurde gewürdigt, dass er sich auf den langen Weg gemacht hatte.

Ganz zum Schluss wurden kurz und knackig Preise verteilt, Dankesworte gesprochen und immer wieder Beifall bespendet. Der Maria-Bosch-Förderpreis der DGSF an Frau Diana Hein für ihre Abschlussarbeit erhielt mit der Anwesenheit der sichtlich gerührten Namensgeberin einen würdigen Rahmen.

Vollgefüllt und satt nach einer wieder einmal anregenden Jahrestagung, konnte ich mit viel Energie einigen Ideen und schönen Erinnerungen meinen Praxisalltag wieder aufnehmen.

Korrespondenzadresse: Katrin Richter, psychotherapeutische Praxis, Katzbek 20, 24235 Laboe, E-Mail: praxis[at]katzbek.de