Konfliktfestigkeit von Organisationen

Konflikte sind unangenehm, sie stören, erzeugen Stress und verschärfen Krisen. Gleichzeitig sind sie häufig Begleiterscheinungen von Veränderung und Entwicklung. Um im Falle größerer Spannungen entscheidungs- und handlungsfähig zu sein, braucht jedes soziale System – analog zu Bio-Organismen – ein funktionstüchtiges Immunsystem.

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Friedrich Glasl und Rainer Schwing

Dazu referierte Dr. Friedrich Glasl aus Salzburg am 7. Juli 2009 in Hanau im Rahmen eines Fachtags, der von derDGSF und dem praxis – institut für systemische beratung gemeinsam veranstaltet wurde. Der Fachtag fand statt im Rahmen des 20jährigen Jubiläums des praxis – Instituts. Rainer Schwing, der Leiter des Regionalinstituts Süd von praxis, hatte dazu in lockerer Folge seine wichtigsten Lehrerinnen und Impulsgeber eingeladen. Im Mai referierte Jürg Hartmann aus Sicht der klientenzentrierten Therapie zum Thema Selbstbejahung als therapieschulenübergreifendes Agens, am 25. September kommt Maria Aarts nach Erfurt, im Dezember wird Carole Gammer zwei Veranstaltungen durchführen zu den Themen systemische Therapie bei ADHS und „Gewalt und Resilienz in Familien“.

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Über 140 TeilnehmerInnen aus sozialen Einrichtungen und Wirtschaftsunternehmen waren gekommen, was zeigte, dass das Thema in vielen Bereichen unserer Gesellschaft auf brennendes Interesse stößt.  Mit Friedrich Glasl wurde nun auch einer der profiliertesten Konfliktexperten in Europa gewonnen, der seit Jahrzehnten in Forschung und praktischer Umsetzung national und international zu diesem Thema arbeitet; er hat dazu theoretische Modelle und Interventionsstrategien entwickelt, die heute international zum Standardwerkzeug von Konfliktmoderatoren gehören. Neben zahlreichen anderen wegweisenden Büchern zu Organisationsentwicklung und Konflikten hat er das Standardwerk „Konfliktmanagement. Ein Handbuch für Führungskräfte, Beraterinnen und Berater“ verfasst, das in 8. Auflage im Haupt-Verlag vorliegt. Er ist Berater und Trainer für Unternehmensentwicklung und Konfliktmanagement in Wirtschaft, Verwaltung und Kultur, bei politischen und ethnokulturellen Konflikten in Armenien, Georgien, Kroatien, Nord-Irland, Russland, Südafrika und hält mehrere Gastprofessuren an Universitäten innerhalb und außerhalb Europas.




voller Saal – volle Aufmerksamkeit

Im Fachtag ging es um die Verknüpfung von Konfliktfähigkeit auf der Ebene der einzelnen Menschen einerseits und um die Konfliktfestigkeit von Organisationen und sozialen Systemen andererseits: Was ist für ein gutes Konflikt-Immunsystem und Frühwarnsystem erforderlich? Welche Konfliktfähigkeit brauchen Führungskräfte und MitarbeiterInnen? Wie können Organe und Verfahren entwickelt werden, mit denen Konflikte konstruktiv bearbeitet werden? Was zeichnet nachhaltige Konfliktlösung aus?

Nach einer ersten Hinführung zum Thema wurde ein Fall aus der Praxis von Dr. Glasl bearbeitet: Ein Konflikt im Altenheim „Waldesruh“ zwischen Träger, Einrichtungsleiter und Pflegedienstleiterin. Der Fallvorstellung folgte ein Gruppengespräch zur Frage: Wie gut ist dieses Altenheim für auftretende Konflikte gerüstet? Danach wurden die Ergebnisse durch ein „Summogramm“ im Plenum zusammengefasst. Das ist ein kreative Methode mit großen Gruppen: Auswertungsfragen werden skaliert und während der Moderator mit dem Stift am Flipchart die Skala entlanggeht, summen die Vortragsteilnehmer lauter oder leiser, um ihre Skaleneinschätzung zu markieren. Schnell wurden Einschätzungen in der Zuhörerschaft deutlich, die dann im folgenden Vortrag zu Konfliktpotenzialen in sozialen Systemen aufgegriffen und theoretisch beschrieben wurden. Wesentliche Punkte waren unter anderen:

  • Konflikte werden gefördert bei Divergenzen zwischen der Organisationskultur, dem sozialen Subsystem und den realen Strukturen, Abläufen und der materiellen Basis.
  • Konflikte entstehen wenn nicht „artgerecht“ geführt und organisiert wird: Dr. Glasl erläuterte die wesentlichen Unterschiede zwischen einer Produktorganisation (z.B. Maschinenbau), einem Routine-Dienstleister (z.B. Friseur) oder einer professionellen Organisation (Schule, Krankenhaus).
  • Konflikte entstehen bei Übergängen in der Unternehmensentwicklung, die jeweils neue Arten der Führung und Organisation erfordern (z.B. beim Übergang einer Pionierorganisation in die „Differenzierungsphase“). Menschen bleiben gerne beim gewohnten, die neuen Anforderungen zu ignorieren führt zu mannigfaltigen Problemen und den dazu gehörigen Konflikten.

Am Nachmittag ging es um Interventionsmöglichkeiten; nach einer weiteren Kleingruppenarbeit zur Frage: Was wäre im Fall des Altenheims „Waldesruh“ hilfreich? folgte eine Vertiefung: Dr. Glasl präsentierte Modelle und Erfahrungen zur Konfliktfestigkeit von Organisationen. Dabei wie auch schon am Vormittag streute er zahlreiche Fallbeispiele ein, aus sozialen Einrichtungen, Dax-Unternehmen wie auch großen politischen Konflikten. Dabei stellte er verschiedene Modelle vor, die er in den unterschiedlichsten Unternehmen eingeführt hatte,

  • wie der Implementation eines mehrstufigen Systems von Konflikt-Lotsen und Konflikt-Coaches,
  • der Qualifizierung von Führungskräften, Konflikte zu erkennen, mutig anzugehen und einer Lösung zuzuführen,
  • oder auch - im Sinne der Organisationsentwicklung - die Bearbeitung konkreter Konflikte und der begleitenden Steigerung der Konfliktfähigkeit der Akteure (learning by doing).

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Auch fürs leibliche Wohl war gut gesorgt

Das Fazit am Ende: die Konfliktfähigkeit der Menschen stärkt die Konfliktfestigkeit der Organisationen, und diese fördert die Erneuerungsfähigkeit in Kultur, Politik und Wirtschaft. Investitionen in diesem Bereich zahlen sich also aus

Mit lang anhaltendem Beifall wurde Friedrich Glasl verabschiedet; es war für die anwesenden ein lehr- und anregungsreicher Tag gewesen. Die PDF-Version der Vorträge stellte Dr. Glasl für die TeilnehmerInnen auf der Hompage des Praxis-Instituts zum Down-Load zur Verfügung (www.praxis-institut.de). Es soll auch viele andere Interessierte geben, die das einfach für sich nutzen ...

(Rainer Schwing)