Kooperation in Zwangs- und Kontrollkontexten

Kooperation in Zwangs- und Kontrollkontexten

Ein Fachtag von CONNECT, praxis – institut für systemische beratung und der DGSF

Die Arbeit mit Menschen, die aus eigener Initiative eine Hilfe aufsuchen, kann schon fordernd genug sein. Konstellationen, in denen Klienten geschickt werden oder in denen Druck und Kontrolle im Spiel ist, stellen für die Fachkräfte in der Jugendhilfe regelmäßig besondere Herausforderungen dar: Kontrollaufträge sind oft mit massiven Eingriffen in die Lebensführung des oder der Betroffenen verbunden und sind für viele Fachkräfte ein ungeliebter Teil ihres Berufes. CONNECT, die Fortbildungseinrichtung des Albert-Schweitzer-Kinderdorf Hessen e. V,. veranstaltete am 29. Oktober 2008 im Olof-Palme-Haus in Hanau zusammen mit dem praxis – institut und der DGSF einen Fachtag zu diesem Thema.

Mit Dr. Wilhelm Rotthaus, Kinder- und Jugendpsychiater, ehemaliger Leiter der Kinder- und Jugendpsychiatrie Viersen und langjähriger Vorsitzender der DGSF und Diplom-Psychologe Rainer Schwing, Leiter des „praxis-institut für systemische Beratung“ in Hanau konnten zwei hervorragende Experten für dieses Thema gewonnen werden. Aus einer langjährigen guten Zusammenarbeit zwischen den beiden Personen und Institutionen mit dem Albert-Schweitzer-Kinderdorf entwickelte sich die gemeinsame Veranstaltung von Fachtagen mit CONNECT.

Eine zentrale Zielsetzung von CONNECT ist die Förderung des fachlichen Dialogs zwischen unterschiedlichen Professionen und Institutionen und die Unterstützung von Kooperationsformen und Synergien. Über 50 Teilnehmer/innen aus stationärer und ambulanter Jugendhilfe, aus Jugendämtern, Psychiatrien und Schulen, waren neugierig darauf, wie die Arbeit in Zwangs- und Kontrollkontexten für alle Beteiligten hilfreich und gewinnbringend umgesetzt werden kann. Der Illusion, in Beratung und Therapie ohne jeglichen Druck und Zwang auszukommen, stellte Dr. Rotthaus mit seinem Vortrag „Freiwilligkeit und Zwang – und was dazwischen liegt“ eine differenzierte und realistischere Sichtweise gegenüber. Unfreiwillige, „geschickte“ und „geholte“ Klienten sind in den Kontexten Beratung, Therapie aber auch in Erziehung eher die Regel als die Ausnahme. Das entscheidende am Gelingen der Arbeit mit Zwangs- und Kontrollkontexten ist die Gestaltung der Beziehung im Spannungsfeld zwischen Kontrolle und Unterstützung und die gute Klärung von Anlässen, Aufträgen, Rollen und Aufgaben der beteiligten Klienten und ihrer Helfersysteme. Am Beispiel der Systemischen Therapie mit jugendlichen Sexualstraftätern in der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Viersen zeigte Dr. Rotthaus auf, wie wichtig die transparente Aufteilung von Aufgaben und Rollen und die strikte Trennung von Kontrolle, Erziehung und Therapie für den Erfolg der Maßnahmen sind.

Daran nahtlos anknüpfend referierte Rainer Schwing in seinem Vortrag  „Kooperation, Kontrolle und Zwang“ über verzwickte Auftragskonstellationen in der Jugendhilfe. Kontrolle, Zwang und Konfrontation wurden als „Schmuddelkinder“ in Beratung und Therapie lange eher tabuisiert. Sie passen scheinbar nicht so richtig ins Selbstbild von unterstützenden Helfern und zu systemischen Grundsätzen wie Autopoiese, Selbstorganisation und konstruktivistischen Sichtweisen. Durch sorgfältige Beziehungsgestaltung können aber Zwangskontexte so genutzt werden, dass sie oft erst den Anstoß und die Voraussetzung für gute systemische Beratungsprozesse bilden. Sie erzeugen Bewegung, fordern Auseinandersetzungen mit bisher vermiedenen Bereichen der Lebensführung und vermitteln nicht zuletzt für manche Klienten Halt und Orientierung. Rainer Schwing stellte die verschiedenen Auftrags- und Beziehungstypen nach Steve de Shazer vor und leitete daraus sinnvolle und hilfreiche systemische Interventionsmöglichkeiten und Strategien ab.

Die Erkenntnisse aus den beiden Referaten wurden in den Workshops am Nachmittag nochmals vertieft und konkretisiert. Dr. Wilhelm Rotthaus nahm in seinem Workshop Chancen und Gestaltungsmöglichkeiten verschiedener Zwangskontexte in Schule und Jugendamt genauer unter die Lupe. Wie Mitarbeiter des Jugendamts im Spannungsfeld zwischen Wächteramt und Beratungsauftrag Handlungssicherheit gewinnen und für ihre Klienten transparente und passende Hilfen und Unterstützungsangebote finden  können, wurde diskutiert und ausprobiert. Bei Rainer Schwing stand Jugendhilfe im Focus. Mitarbeiterinnen aus Jugendämtern und Beratungsstellen übten exemplarisch in Rollenspielen anhand eingebrachter Fälle Erstgespräche am Telefon oder bei Hausbesuchen nach einer anonymen Gefährdungsmeldung, oder auch die Beratung bei Hartz IV-Empfängern.

Die Resonanz auf den Fachtag und die Ergebnisse aus den Fragebögen waren sehr positiv. Sie bestärken und ermuntern die Organisatoren und Referenten, weitere Anstrengungen zu unternehmen in der Verknüpfung von systemischer Theorie und Praxis und in der Vernetzung und Kooperation von sozialen Berufsgruppen und Institutionen.

Gabriela Halter Dofel

Leiterin CONNECT