Systemische Wege in einer Welt der Veränderung

Tagungsbericht der 7. Jahrestagung der DGSF in Neu-Ulm

Systemische Wege in einer Welt der Veränderung

Nachdem ich mir das Abschiedsfeuerwerk für  Willhelm Rotthaus und Friedebert Kröger aus den Augen gewischt hatte – ich meine nicht die Asche – und mit einem Seufzer wieder im Alltag landete, fallen mir eigentlich nicht wirklich Worte ein. Vielleicht fange ich hinten an: Es war herrlich.

Nach sieben Jahren DGSF wurde es Zeit, auch ein bisschen Bilanz zu ziehen. Bis zu 500 Besucher/innen hatten sich wieder auf den Weg gemacht, um in Neu-Ulm gemeinsam zu tagen zu fragen, sich auszutauschen oder einfach nur miteinander zu reden. Es waren Tage der Wertschätzung, der Auseinandersetzungen, der Neuanbandelungen und Kontaktpflege.  Das Schöne an so einem Kongress ist, dass sich Menschen wiedersehen, die sich ein Jahr nicht sahen, die sich dann real in die Arme fallen können. Auf der innerdeutschen Kongresslandschaft ist das ein nicht zu vernachlässigendes Gut des menschlichen Umgangs und selten.

Es ging schon los bevor es losging mit der jährlichen Instituteversammlung und setzte sich noch vor Tagungseröffnung mit dem Forschungskolloquium fort. Bernd Abendschein, Michael Macseraere und Saskia Erbring gaben sicher alles, was manche Anreisenden mit sehr langem Reiseweg leider verpassen mussten, obwohl sie manchmal sogar per Airline kamen. Ich wollte mich einfinden und anmelden im schönen Möwenpick-Hotel.  Statt Eis zur Begrüßung gab es dann Gummibärchen ...

Die Tagung eröffneten Gisal Wnuk-Gette und Werner P.E. Wnuk in ihrem unverwechselbaren persönlichen Charme und Stil sich das Wort gegenseitig aus dem Mund nehmend. Die Tagungsvorbereitungen hatten sich erfolgreich heißgelaufen, das musste ich annehmen, da ich sonntags den Beamer für meinen Vortrag abbestellte und nach sieben (!!) Minuten Antwort bekam. Darauf und auf den Gesamtablauf darf man dann auch stolz sein. Ich hörte von schrecklichen technischen Pannen, bei denen die Technik wirklich maßgebend gewesen wäre, und war froh, dass mir das nicht passiert war.

Wer ein Ziel hat, findet auch einen Weg – das Motto des ersten Tages.

Prof. Dirk Baecker hielt den Eröffnungsvortrag über die Dynamik von Veränderung, anspruchsvoll und zum Nachdenken anregend. Er klärte uns darüber auf, dass die holistische Perspektive: „Alles hängt mit allem zusammen“ nicht nur trivial, sondern auch falsch sei, weil jeder die Perspektive zu wählen hat, aus der er etwas betrachtet – was man eigentlich auch wieder trivial finden kann. Veränderung führe ins Chaos, oder in die Entwicklung. Seine Ausführungen der menschlichen Evolution von der Stammesgesellschaft zur Schriftgesellschaft, Buchdruckgesellschaft und Computergesellschaft waren erhellend und einleuchtend. Es schien ihm Spaß zu machen, frei philosophieren zu können. Eine kleine Geschichte über Pelzchen rundete die Eröffnung ab. Wahrscheinlich blieben deshalb die meisten zum nachfolgenden Come-together - zum Erschrecken der Veranstalter. Der glückliche Koch konnte kochen und kochen und nachfüllen bis wirklich alles ratzeputz weg war. Es bestand nicht nur Gesprächsbedarf über Baeckers systemtheoretische Überlegungen, sondern über den ganzen Tag – und Hunger hatten schließlich auch alle. Seht, das Gute liegt so nahe. Es lag sicher an den Pelzchen der Svabedoodahs.

In die ‚Welt der Veränderung‘ begaben sich die Teilnehmer am zweiten Tag mit Vorträgen von Ilona Kickbusch und  Eva Strasser. In der anschließenden Podiumsdiskussion mit Jochen Schweitzer u.a. konnten ergänzende Worte gefunden werden.

Nach der Pause verdreifachten sich die Pfade erstmalig, so dass zu wählen war zwischen Jugend, Jugendhilfe und Psychiatrie. Ganz so entspannt war ich dann nicht, da mein eigener Workshop nach der Mittagspause lief. Wer wählen konnte, durfte zwischen Carole Gammer (Hyperaktive Jugendliche), Wolf Ritscher (systemische Jugendhilfe) und Jochen Schweitzer/ Angelika Nikolai / Dieter Schmitz (Sympathische Psychiatrie) entscheiden. Die Tagung lief des Nachmittags zu Hochtouren auf mit 22 Workshops. Ich hatte dann nicht die Wahl, sondern denselben zu halten und zu gestalten, was in einem 100 m² Ballettsaal ein einziger Genuss war: „Der Preis der Zeit“ hatte allen „Platz der Welt“.

Kurze Pause und … Mitgliederversammlung. Klug entschieden schon ab 16.30 Uhr. Man hatte viel vor, viel zu verabschieden in wertschätzender Stimmung und neu zu wählen. Die kritischen Worte von Marie-Luise Conen gingen nicht unter, weil die DGSF sich zwar manchmal schwertut, aber sich doch sehr gern auseinandersetzt. Sonst würde das wirklich manchmal nicht immer so lange dauern mit den Entscheidungen.

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  Wilhelm Rotthaus übergibt an Jochen Schweitzer (Foto: Richter)

Die Pfade schlängelten sich am dritten Tage anspruchsvoll: Ab 9 Uhr bahnten sich systemische Wege. Ich war nun auch endlich aus meinem Alltag herausgelöst und hatte viel davon, George Downings Videointerventionen zu folgen, bei denen eine Mutter mit Borderline-Persönlichkeit im Fokus der Erkenntnis stand. In der nachfolgenden Pause darauf von mir angesprochen stellte erzu meiner Beruhigung heraus, dass es doch nicht so leicht ist, schwer beschädigte Menschen mit den eigenen Filmsequenzen zu konfrontieren. Das hatte ich wohl überhört. Parallel liefen die Veranstaltungen von Manfred Cierpka (Vorsorge ist besser als Nachsorge) und Karl-Heinz Weyrich (Zwei Welten – ein Ziel).

Der Nebel in London ließ Eia Asen nicht anreisen. So mussten sich die zahlreichen Interessenten an Asens Vortrag auf die vier verbleibenden Veranstaltungen aufteilen: Helmut Bonney mit einer ADHS-Therapie unter Zuhilfenahme des PC, Karl-Heinz Brisch mit einem Elternausbildungsprogramm, Marie-Luise Conen mit dem Ideenreichtum systemischer Berater und Rupert Duerdoth mit Suchtprävention bei Spätaussiedlern. Man wünscht sich ja schon manchmal mehrere Köpfe, um die gesammelte Neugier zu befriedigen.

Wunderbar in der Planung deswegen im Anschluss folgend Spotlights, Pause, Posterforum, Pause und danach erst wieder Workshops. Es gab Zeit, Dinge zu besehen, immer wieder weg zu gehen, wieder hin zu gehen, alles zu vergessen und dann nochmals etwas wieder anzuschauen. Es bleibt ja doch was hängen. Bei mir zumindest. An dieser Stelle sei dem Organisationsteam mal wirklich gedankt, weil Tagungsort und Restaurant auf einem Fleck waren, so dass, wenn einem der Preis nicht so wichtig war, auch vom Kaffee bis zum Menü zwischendurch alles drin war.

Es soll ein Tagungsbericht sein – an dieser Stelle sollte ich aufpassen, dass ich bei der Schilderung des Tagungsfestes nicht überschnappe. Wo erhält man sonst so ein üppiges Mal mit Käse ganz am Schluss? Wo findet man einen Wortjongleur, der gekonnt fast alle Vortragenden auf die Schippe nimmt, sodass Herr Wnuk sogar das Küssen lässt (schade)? Wo kann man sonst 4-6 Stunden fast am Stück durchtanzen und muss rausgeschmissen werden einschließlich der 50 Mittänzer? Wo geht der Kellner fast an seinen privaten Weinschrank, um Sonderwünsche nach Badischem zu erfüllen? Hm? Naja, Schluss mit schwärmen, es war ein tolles Fest.

Wege entstehen nämlich dadurch, dass man sie geht, wie Tag vier verkündet. Sechs parallele Veranstaltungen. Die schönen Aussichten fürs Alter bei Dorette Deutsch waren in der Diskussion ganz schön, ihr Tempo etwas hoch für meinen Morgen. Parallel gaben Johannes Herwig-Lempp (Supervision und leere Kassen) Tom Levold (Supervision in sich verändernden Organisationen) Uta Meier-Gräwe (Familie in Veränderung), Liz Nicolai (Resilienz) und Reiner Wanielik (Jungs verstehen) ihr Bestes.

Der Abschlussvortrag von Kurt Ludewig ist nachzulesen auf seiner Webside. Mannomann, da brauchte ich meinen ganzen Kopf. So komprimiert kann man systemisches Denken also formulieren. Ich war sehr froh, nicht sofort abreisen zu müssen, sondern die Tage ausklingen lassen zu können. Obwohl wir alle auch in den Pausen ordentlich bepuschelt wurden. Musik von einer Pausenband, sich vorlesen lassen auf gehobenem Niveau oder nochmal ein Pelzchen tauschen, Essen gehen oder Ulm ansehen, weil Zeit dafür ist. Das hat was. In diesem Sinne – für alle, die es wieder verpassen mussten. Vielen Dank allen. Wir seh´n uns nächstes Jahr in Essen.

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Ein herzliches Dankeschön - und bis nächstes Jahr in Essen (Foto: Richter)

Katrin Richter
Systemische Psychotherapiepraxis
24235 Laboe
Katzbek 20

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