Psychotherapie und Kultur: Organ-medizinisches Verständnis greift zu kurz

Ankündigung der Veranstaltung auch in der DGSF-Nachricht vom 19.12.2005.

Dieses Symposion soll ein Forum sein für diejenigen, die sich unbehaglich fühlen angesichts der Entwicklung zu einer Psychotherapie, die ihr Selbstverständnis darin findet, „Störungen“ zu beseitigen, ohne nach deren Sinn, Herkommen und Bedeutung zu fragen. Wer aber solchen Fragen nachgeht, stößt auf den unauflöslichen Zusammenhang von Störung, persönlichem Problem einerseits und Gesellschaft und Kultur andererseits. Dem ist mit naturwissenschaftlichem Denken nicht beizukommen. Der dem organ-medizinischen Verständnis nachgebildete Behandlungsansatz greift zu kurz, er verliert die an der Produktion seelischer Störungen beteiligten biopsychosozialen Determinanten aus dem Blick. Seine Dominanz in der Psychotherapie und die erkennbaren Bestrebungen, die Profession auf dieses Paradigma zu verpflichten, werten wir als ein Alarmzeichen.

Zahlreiche Tagungen und Kongresse haben sich an dem Disput zwischen naturwissenschaftlichen und hermeneutischen Ansätzen und Traditionen, mit Berührungspunkten und Gegensätzen auseinandergesetzt und daran abgearbeitet. Wir wollen etwas anderes: die Diskussion und den Streit im Felde der sinnverstehenden, der humanistischen, psychoanalytischen und systemischen Verfahren, über Grundsätzliches und Methodisches, Allgemeines und Spezifisches. Dabei wissen wir, dass wir nicht aus der Psychotherapie allein schöpfen, sondern dass unser Denken und Arbeiten in Bezug steht zu philosophischen, gesellschafts- und sozialwissenschaftlichen Diskursen außerhalb der Psychotherapie, die wir einbeziehen müssen. Wir wollen uns sowohl verorten als auch artikulieren, zu Wort melden.

Deshalb haben wir ein Vorgehen gewählt, das der Vorläufigkeit unserer Fragestellung wie auch ihrer Intention gerecht zu werden versucht. (Wir wollen nicht eine Richtung angeben, einen neuen Trend setzen – aber das könnte am Ende dabei herauskommen.) Wir haben Personen angesprochen, von denen wir meinen, dass sie zum Thema Psychotherapie und Kultur und Zivilisation etwas zu sagen haben, ohne ihnen Themen vorzuschreiben. Überraschend viele waren dazu bereit. So ist ein breites Spektrum an Beiträgen zustande gekommen, das von der philosophischen Reflexion globaler Trends und ihrer Widersprüche über (psychotherapiepolitische) Machtdiskurse, historische Bezugnahmen und aktuelle neurowissenschaftlich-psychotherapeutische Fragestellungen, erkenntnistheoretisch-methodologische Probleme, dem Verhältnis von Profession und Wissenschaft, Narration, Menschenbild bis zum Thema „therapeutischer Kitsch“ reicht.

Das Wichtigste sind uns aber nicht die Beiträge unserer Referenten, sondern die Diskussion der Teilnehmer, der wir bewusst großen zeitlichen Spielraum eingeräumt haben. Die Tagung soll ein Kolloquium sein auf der Grundlage der Inputs unserer Referentinnen und Referenten. Dazu besteht die Möglichkeit, sich auf deren Beiträge anhand der von ihnen gelieferten Abstracts vorzubereiten, die auf der Homepage des Tagungsbüros (http://www.wispo.de) unter „Symposium“ eingesehen und heruntergeladen werden können. Dort ist auch das Programm mit den Themen der Arbeitsgruppen und der Referenten abrufbar, ebenso wie ein Anmeldeformular und ein Flyer, der die Informationen zu Anmeldung und Organisationen enthält.

(Für die Veranstalter: Anni Michelmann)