Expertengespräch zu Corona und Jugendhilfe

Die Veranstaltung fand als Webinar mit 100 Teilnehmer*innen in der Zeit von 9.00 bis 17.00 Uhr. Es war ein zeitlich eng gefasstes Programm, die Vorträge hatten eine Dauer von 10 - ca. 20 Minuten. Dazwischen fand ein Austausch in Kleingruppen statt, die per Losverfahren zusammengestellt worden sind.

Frau Dr. Heike Schmid-Obkirchner Leiterin der Referatsgruppe Kinderschutz und Kinderrechte im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Berlin) lies sich durch Bettina Zötsch, Fachreferentin, vertreten. Leider konnte diese zu vielen Fragen keine Antworten geben. Sie sprach über 2 Mrd Euro, die der Kinder- und Jugendhilfe in dem Aktionsprogramm "Aufholen durch Corona" zu Gute kommen.

Dieses Programm besteht aus vier Säulen:

1. Nachhilfe, Abbau von Lernrückständen

2. Förderung frühkindlicher Bildung (u.a. für Sprachkitas)

3. Unterstützung im außerinstitutionellen Bereich (Ferien-, Freizeitfahrten,...)

4. Unterstützung von Kindern und Jugendlichen im Rahmen der Schulsozialarbeit.

Wie letztlich die Gelder verteilt werden, wann das Geld wo eintrifft usw. blieben ebenso unbeantwortet wie die die spannende Frage, wieso nur 2 Mrd Euro für Bildung der Kinder und Jugendlichen ausgegeben werden und die Hilfen zur Erziehung nicht finanziell unterstützt werden, wenn man im Verhältnis für die Abwendung der Insolvenz für Lufthansa 9 Mrd. Euro bereitstellt.

Es wurden einige sehr interessante Studien vorgestellt. Gemeinsam haben diese Studien, dass sie herausarbeiten konnten, wie wenig sich die Kinder und Jugendlich in Entscheidungsprozessen beteiligt fühlen. Überwiegend wurde es von ihnen so empfunden, dass sie eine Gefahr für die Gesellschaft darstellen, da ältere Menschen sich bei den jungen Menschen anstecken. Jugendliche waren aus dem öffentlichen Leben nahezu verschwunden, wenn sie auftauchten, dann in der medialen Berichterstattung als Regelbrecher, als Schüler und später als Leidtragende der Krise ("Generation Corona"). Die Studien arbeiten besonders heraus, dass die Kinder und Jugendlichen zu einem hohen Prozentsatz angaben, seit Corona besonders psychisch belastet zu sein.

Hier ein Zitat eines Jugendlichen "Schade, dass nie Kinder und Jugendliche gefragt wurden, wie es ihnen damit geht, dass wir zurück zur Schule müssen und mit welchem Risiko das verbunden ist."

Trafen sich Jugendliche im öffentlichen Raum, fühlten sie sich tendenziell stärker beobachtet und waren von der Angst besetzt, etwas Verbotenes zu tun. Auch Zukunftsängste gaben 30% der Befragten an. Befragt wurden in dieser Studie über 6000 Jugendliche (JuCo I u. II Bundesweite Studie). Hier finden Sie die ersten Ergebnisse: https://hildok.bsz-bw.de/frontdoor/index/index/docId/1078

Ein letzter zentraler Aspekt, den ich hier aufgreifen möchte, ist, dass in den Studien deutlich wird, dass in der Summe zu beobachten ist, wer vor Corona schon abgehängt war, wird noch weiter abgehängt. Kinderärzte, Kinder- und Jugendpsychiatrien und die Fachleute der Kinder- und Jugendhilfe beobachten eine Zunahme von Sozialisationsdefiziten, Entwicklungsdeprivation und psychischen Symptomen.

Auch in den Austauschforen wurde dies von den Fachkräften aus ihrer täglichen Arbeit bestätigt. Im Laufe der Corona-Pandemie, zu der Zeit der hohen Inzidenz, war das Schlagwort der täglichen Arbeit „Krisenintervention“. Positiv wurde das Zusammenwachsen und -arbeiten der öffentlichen und freien Träger bewertet (Krise als Chance), wobei ich hier aus eigener Erfahrung in Leipzig zu dieser Position abwäge. In Leipzig gab es in der Zeit des ersten Lockdowns (März 2020) ein über Wochen anhaltende Phase, in der die Zusammenarbeit völlig zum Erliegen kam, da die Mitarbeiter der Ämter nicht für das Homeoffice mit Technik ausgestattet waren und auch an ihrem Arbeitsplatz nicht erreichbar waren. Persönliche Besuche waren unmöglich.

Ich fand die Veranstaltung höchst interessante, hätte mir aber zur Verteilung der Gelder und der gesetzlichen Neuregelungen des SGB VIII hinsichtlich Kinderschutz mehr inhaltliche Beiträge gewünscht. Die Ergebnisse der JuCo Studien I u II haben mich berührt und meine eigene Arbeit nochmals anders reflektieren lassen.

(Katja Belenkij)