Systemsprenger in Schule und Jugendhilfe

„Systemsprenger in Schule und Jugendhilfe“ oder „Wixer ist kein Gemüse“

Prof. Dr. Menno Baumann bescherte uns und ca. 130 Teilnehmenden im JGH Köln-Riehl einen mehr als gelungenen DGSF-Fachtag zum Thema Arbeit mit sogenannter „Hoch-Risiko-Klientel“.

Es gelang Herrn Baumann in beeindruckender Weise, die hochkomplexen Wechselwirkungen und Zusammenhänge bzgl. der brisanten Thematik auf anschauliche, fachlich sehr fundierte, praxisnahe und humorvolle Weise so zu vermitteln, dass die Teilnehmenden sowohl den Wissenschaftler als auch den sehr engagierten Praktiker der Jugendhilfe hautnah erleben konnten. Die Fülle der behandelten Teilaspekte und die lebendige Art der Vermittlung lassen sich unmöglich in einem Kurzbericht darstellen. Daher möchte ich nur einige für mich wesentliche Aspekte herausgreifen und Ihnen ansonsten wünschen, Herrn Prof. Dr. Baumann selbst erleben zu dürfen.

Gleich zu Beginn der Veranstaltung machte Dr. Baumann die Teilnehmenden auf ebenso einfache wie fundierte Weise anhand von Zitaten, Beispielen, Daten und auch Cartoons mit seinen systemischen Grundhaltungen und Sichtweisen des Phänomens vertraut: „‘Systemsprenger‘ ist weder ein Persönlichkeitsmerkmal, noch eine Diagnose, sondern Ergebnis eines Interaktionsprozesses“. Er lenkte vor diesem Hintergrund den Blick konsequent vom Verhalten des Kindes/Jugendlichen und seinen „verstörenden“ Verhaltensweisen weg und hin zum Kontext, den Institutionen und Helfenden und plädierte für eine Rahmung des Hilfegeschehens, die in allen Bereichen durch Klarheit und Offenheit bzgl. der Erwartungen aller Beteiligten geprägt sein sollte.

„Das Gegenteil von Scheitern ist nicht Erfolg, sondern Handlungsfähigkeit.“ Unter diesem Motto formulierte und erläuterte Dr. Baumann die Hypothese, dass die zunehmende Hilflosigkeit in der Pädagogik mit unserem heutigen Bild von Kindheit zusammenhängt und die „betroffenen“ Kinder/Jugendlichen unsere pädagogischen Glaubenssätze an Effizienz und Messbarkeit von Pädagogik/Therapie, Partizipation und Inklusion sprengen. Und damit unsere Allmachtphantasien und unseren Technologieglauben. Um wieder handlungsfähig zu werden, müssen wir einige dieser Glaubenssätze „über Bord werfen“, z. B. den bzgl. des Nutzens der zunehmenden Medizinisierung der Jugendhilfe.

Während der Vormittag ganz im Zeichen der systemtheoretischen Analyse von Rahmenbedingungen „potentiell scheiternder“ Jugendhilfe stand, widmete sich Dr. Baumann am Nachmittag der Frage nach den Strukturen, die Kontinuität und Flexibilität sowie „Dranbleiben“ am Kind/Jugendlichen ermöglichen, sowie der „emotionalen Schiene“: Wie können wir diese Arbeit dauerhaft gesund leisten?

Am Beispiel des „Übergangsmanagements“ in der Einzelfallhilfe erläuterte er die Frage: Welche Ingredienzen brauchen Jugendhilfemaßnahmen aus der Sicht der Jugendlichen? Und die Frage „Was braucht Pädagogik für den Umgang mit dieser Zielgruppe?“ beantwortete er nicht nur theoretisch anhand von 7 Teilaspekten, sondern wieder anhand von Praxisbeispielen und unter Einbezug der Erfahrungen und Fragen der Teilnehmenden.

Und: Trotz der Fülle an Themen blieb auch noch Zeit für die Schilderung einiger methodischer Elemente, wie z.B. die „Mottotage“, an denen jeweils nur mit Worten aus einer vorgegebenen Kategorie (z. B. „Gemüse“) beleidigt werden darf. So entstand die im Titel benannte Entgegnung eines Erziehers auf die Beleidigung eines Jugendlichen hin.

„Pädagogen arbeiten in erster Linie mit ihrer Persönlichkeit und ihrer Haltung. Deswegen ist es wichtig, sich mit sich selbst zu beschäftigen ... wer ich als Mensch bin ...“.

Mit einem Zitat aus dem Roman „Mr. Harpers Traum vom Leben“ von Adrian Plass eröffnete Dr. Baumann den Fachtag und lud die Teilnehmenden auf diese Weise gleich zu Beginn und durchgehend zu einem Blick in den Spiegel ein. Am Ende dieses Zitats stand ein Gedicht, das ich Ihnen hier zum Abschluss meines Kurzberichtes nahebringen möchte:

In dem Spiegelsaal gefangen
kann ich den Bildern nicht entfliehen,
die mir doch nicht zeigen können,
was schon lange ist dahin.

Tief in mir in dunkler Ferne,
kaum erreichbar meinem Blick,
steht ein Kind, verwirrt und schweigend,
verlassen, einsam, weit zurück.

Nur in einem einzgen Spiegel
Sehe ich in meinem Sinn,
klar und ruhig das eine Bild
dieses Menschen, der ich bin
.

Bericht von: Walter Rösch, Kölner Verein für systemische Beratung e.V.

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