Systemische Therapie als Kassenleistung?


Systemische Therapie als Kassenleistung? – Das IQWiG veröffentlicht den Abschlussbericht zum Nutzen Systemischer Psychotherapie bei Erwachsenen

Liebe Mitglieder,

lange und mit Spannung haben wir auf den Bericht des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) gewartet. Ende Juli war es nun soweit: Auf fast 900 Seiten stellt das IQWiG seine Ergebnisse zu der bis dahin umfangreichsten Literaturrecherche zur Systemischen Therapie vor. Über 3000 Studien wurden im Volltext gesichtet. Den Kriterien des IQWiG genügten dann noch 42 RCT- Studien[1], von denen 33 für die Auswertung berücksichtigt wurden. Aussortiert wurden u.a. Studien, die den Einschlusskriterien des IQWiG z.B. hinsichtlich Diagnose, Methodik oder Sprache nicht genügten.

Die Ergebnisse werden hoffentlich auf das gesamte systemische Feld ausstrahlen, denn sie können sich sehen lassen: In sieben von neun Diagnosegruppen fand das IQWiG „Anhaltspunkte“ oder „Hinweise“ für einen Nutzen Systemischer Therapie. Das IQWiG bedient sich einer vierstufigen Beurteilungsskala: ganz oben stehen „Belege“ für einen Nutzen, dann folgen abgestuft „Hinweise“ und „Anhaltspunkte“, oder eben „kein Anhaltspunkt für Nutzen“. „Belege für einen Nutzen“ können bei der Testung von Psychotherapieverfahren aus methodischen Gründen nicht erbracht werden.

Die beiden Diagnosegruppen „Angst- und Zwangsstörungen“ sowie „Affektive Störungen“ sind dabei besonders wichtig, weil kein Psychotherapieverfahren neu zugelassen werden darf, ohne einen Nutzen in der Behandlung dieser besonders häufigen Diagnosen zu zeigen. Bei Angst- und Zwangsstörungen fand das IQWiG „Hinweise“ auf einen Nutzen, bei affektiven Störungen „Anhaltspunkte“.

Eine Gesamtabwägung zwischen Nutzen und Schaden, wie sie bei Arzneimittelbewertungen üblich ist, lieferte das IQWiG nicht, weil psychotherapeutische Studien generell kaum Daten zu Nebenwirkungen der Behandlung liefern. Ohne eine Erhebung möglicher Schäden, so das IQWiG, kann aber keine Gesamtabwägung von Nutzen und Risiken getroffen werden. Dies gilt allerdings für alle Psychotherapieverfahren, nicht speziell für die Systemische Therapie.

Wie geht es nun weiter?

Der Ball liegt nun im Spielfeld des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), dem obersten Selbstverwaltungsorgan des Gesundheitswesens. Dort wird über die letztendliche Zulassung entschieden. Mit einer Entscheidung ist kaum vor Juni 2018 zu rechnen, vielleicht auch später. Eine Frist, bis wann die Entscheidung gefallen sein muss, gibt es nicht.

Der G-BA ist ein politisches Gremium. Hier einigt sich die Kostenträgerseite (also Krankenkassen) mit den LeistungserbringerInnen (also Krankenhäusern, ÄrztInnen und PsychotherapeutInnen) auf den Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung. Der G-BA wird, stärker als das IQWiG, von interessenpolitischen Motiven beeinflusst. Für uns wird ausschlaggebend sein, wer von den EntscheidungsträgerInnen der Zulassung von Systemischer Therapie wohlwollend gegenüber steht, und wer sie gerne verhindern würde. DGSF und SG werden diesen Prozess in bewährter Zusammenarbeit begleiten und versuchen, möglichst viele Verbündete im G-BA und in der Gesundheitspolitik zu gewinnen. Hierbei möchten wir Sie um Ihre aktive Mithilfe bitten:
 

Systemische Therapie in den Wahlkampf – Aufruf zur Kontaktaufnahme mit Bundestagsabgeordneten


Immer wieder wurden wir in den letzten Jahren gefragt, was man als einzelnes Mitglied tun kann, um die Chancen auf eine Kassenanerkennung der Systemischen Therapie zu verbessern. Nun, da der Anerkennungsprozess in die heiße Phase eingetreten ist, brauchen wir Ihre Unterstützung.

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), der die Entscheidung letztendlich treffen wird, ist formal vom Bundesgesundheitsministerium (BMG) unabhängig. Das BMG greift nur in seltenen Ausnahmefällen direkt in die Entscheidungen des G-BA ein. Hinter den Kulissen wird die Bundespolitik aber trotzdem eine Rolle spielen. Ob politisches Interesse an einem Verfahren besteht, kann sich z.B. darin zeigen, ob eine Entscheidung schnell angegangen oder eher auf die lange Bank geschoben wird; oder daran, wie sehr von politischer Seite aus darauf geachtet wird, dass es bei den vielen unterschiedlichen Interessen, die im Spiel sind, halbwegs fair zugeht. Möglichst viele Abgeordnete sollten daher schon einmal von Systemischer Therapie gehört haben und wissen, worum es dabei geht. Vorteile – wie etwa die Arbeit im Mehrpersonensetting oder die Stärkung von Familien – könnten hier gerne benannt werden.

Dabei können Sie mithelfen! Bitte kontaktieren Sie den/die für Ihren Wahlkreis zuständige/n Bundestagsabgeordnete/n. Machen Sie ihn/sie aufmerksam auf Systemische Therapie, warum dieses Therapieverfahren für Sie wichtig ist, und auf den laufenden Anerkennungsprozess. Grade jetzt, im Vorfeld der Bundestagswahlen, werden viele KandidatInnen ein offenes Ohr für alle Themen haben, die WählerInnen in ihrem Wahlkreis betreffen und Ihnen am Herzen liegen. Auch Abgeordnete bei Ihnen vor Ort, die nicht selbst mit gesundheitspolitischen Themen befasst sind, können das Thema in ihre Fraktionen weitertragen. Je häufiger die Abgeordneten von Systemischer Therapie hören, desto wahrscheinlicher und dringlicher werden sie sich mit dem Thema befassen.

Unter dem nachstehenden Link findet sich eine Übersicht aller KandidatInnen für die Bundestagswahl 2017. https://www.bundeswahlleiter.de/bundestagswahlen/2017/wahlbewerber.html. Dort sind alle KandidatInnen namentlich aufgeführt; ihre Kontaktdaten lassen sich so schnell ergoogeln.

Egal, ob Sie die Abgeordneten beim Rosenverteilen auf dem Marktplatz ansprechen, eine E-Mail schreiben oder im Wahlkreisbüro anrufen: jede Initiative ist wertvoll.

Sie haben noch Fragen? Sie waren aktiv und möchten davon berichten? Melden Sie sich gerne unter dittrich@dgsf.org oder sbaumann@systemische-gesellschaft.de.

Herzlichen Dank!

Wann kann mit den Kassen abgerechnet werden?

Bis es eine bundesweit flächendeckende Versorgung mit Systemischer Therapie über Kassen­sitze geben wird, werden noch etliche Jahre vergehen. Die Bedarfsplanung, die die Anzahl der Kassensitze für PsychotherapeutInnen beschränkt, wird sehr wahrscheinlich nicht erhöht, wenn Systemische Psychotherapie Kassenleistung wird. Es werden also keine zusätzlichen Kassensitze entstehen. Freiwerdende psychotherapeutische Kassensitze werden aber mit systemischen PsychotherapeutInnen nachbesetzt werden können.

Und was ist mit Systemischer Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie?

Ein Prüfantrag können nur Mitglieder des G-BA selbst stellen. Wir sind also darauf angewiesen, dass aus diesen Reihen jemand aktiv wird. Hierzu führen wir bereits Gespräche, warten dazu aber zunächst den Ausgang des laufenden Verfahrens ab.

Wer wird mit den Krankenkassen abrechnen können?

Wenn die Entscheidung zugunsten der sozialrechtliche Anerkennung Systemischer Therapie erfolgt, werden nur approbierte Systemische PsychotherapeutInnen mit einem Kassensitz mit den gesetzlichen Krankenkassen abrechnen können. Um die Approbation zu erlangen, muss eine Approbationsausbildung nach dem Psychotherapeutengesetz absolviert werden. Ob Vorleistungen anerkannt werden, entscheiden die Landesprüfungsämter. Nach den bisherigen Erfahrungen geschieht das nur in geringem Maße.

Weitere Informationen:

Dr. Björn Enno Hermans & Kerstin Dittrich


[1] Randomized controlled trias (RCT-Studien) genügen besonders strengen Kriterien bei der Versuchsplanung. Deswegen kann man durch RCT-Studien besonders sichere Aussagen treffen, da die Gefahr gering ist, dass Störeinflüsse das Ergebnis verzerren. Für ein RCT-Forschungsdesign wird die zu untersuchende Intervention mit einer anderen Behandlung verglichen. Die Versuchspersonen müssen hier zufällig einer der beiden Gruppe zugeordnet worden sein.